Ottawa. . Sie ist uneitel, und sie sagt ungeschminkt ihre Meinung: Ex-Nationalspielerin Nia Künzer ist als Fußball-Expertin fürs Fernsehen ein echter Gewinn.
Es gibt Augenblicke im Sport, die Leben verändern können. Augenblicke, die gerne magische Momente genannt werden, weil dies so schön nach Mythos klingt. Nia Künzer hat so einen Moment erlebt.
Am 12. Oktober 2003, in der Verlängerung des Fußball-Weltmeisterschafts-Endspiels der Frauen gegen Schweden in Carson City, US-Staat Kalifornien. Es läuft die 98. Minute, Renate Lingor steht zum Freistoß bereit, sie ruft kurz „Nia“, und die weiß Bescheid. Steigt hoch, gewinnt ein Kopfballduell, und der Ball senkt sich über die Torhüterin hinweg ins Netz. 2:1 für Deutschland, Golden Goal, aus, aus, aus. Deutschland ist Weltmeisterin – dank Nia Künzer.
Ein Treffer für die Ewigkeit
Dass jener Moment weniger mit Magie als vielmehr mit zielgerichtetem Training zu tun hatte – geschenkt. Nia Künzer, in Botswana geborene Tochter zweier Entwicklungshelfer, war auf einen Schlag berühmt. Ihr Treffer wurde zum Tor des Jahres gewählt, sie wurde interessant für Medien und Sponsoren.
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Ohne dieses Tor stünde sie auch in diesen Tagen nicht in Vancouver auf einer von der ARD errichteten Plattform mit hübschem Ausblick auf die kanadische Metropole. Nia Künzer, mittlerweile 35 Jahre alt und Diplom-Pädagogin, ist beim Ersten seit 2006 als Frauenfußball-Expertin gefragt und darf deshalb auch bei der derzeitigen WM nicht fehlen.
An der Seite von Stichwortgeber Claus Lufen gibt sie sich dabei so ganz anders als viele der aus rätselhaften Gründen plötzlich beim Fußball gelandeten Reporterinnen bei den Privat- und Bezahlsendern: Eher unauffällig gekleidet steht sie dort, sie ist nicht auf Selbstdarstellung und nicht auf Effekthascherei aus, sondern sie interpretiert ihre Aufgabe sachlich.
Wer auf pfiffige Sprüche wartet wie bei Mehmet Scholl oder auf titanische Selbstgefälligkeit wie bei Oliver Kahn, der wird nichts davon bei ihr entdecken. Fachlich fundiert arbeitet sie die Themen ab, und das tut dem an Geschrei und Getöse gewöhnten Fußball-Zuschauer auch mal ganz gut.
Vier Kreuzbandrisse in ihrer Karriere
Analytisch zu arbeiten, das heißt für Nia Künzer allerdings nicht, auf klare Meinungen zu verzichten. Bevor ihr Sender einen hymnischen Beitrag über die fünfmalige Weltfußballerin Marta einspielte, betonte die Expertin am Mikro, dass sie die bisher noch ohne WM-Titel gebliebene Brasilianerin für „zu egoistisch“ hält.
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Eine Kämpferin wie Nia Künzer, die während ihrer Karriere vier (!) Kreuzbandrisse erlitt und sich jedes Mal wieder zurück auf den Rasen arbeitete, weicht auch heiklen Themen nicht aus. Wie nach dem 3:3, das sich tapfere Nigerianerinen gegen Schweden erkämpft hatten.
Lufen erwähnte, aus Nigeria werde berichtet, dass es dort Spielerinnen gebe, die in sexuellen Abhängigkeitsverhältnissen mit Trainern lebten, die sie sonst nicht aufstellen würden. „Das wundert mich jetzt nicht, dass es das auch im Fußball gibt“, sagte Nia Künzer.
Ihre Ansichten hatte Nia Künzer schon 2004 ausdrucksstark vertreten, als die ARD ein Experiment mit ihr einging: Sie berichtete für das Morgenmagazin von der deutschen Männer-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Portugal. Und sie musste dabei feststellen, dass ihr Name und ihr WM-Titel vielen der hochbezahlten Herren wurscht waren.
Eigene Interviews? Fehlanzeige. „Ich darf schon mal zusehen, wie Torsten Frings wegfährt und alle Journalisten stehen lässt“, sagte sie damals verärgert im Gespräch mit unserer Redaktion. „Die Medienleute müssen doch auch ihren Job machen. Aber so einer nimmt gar nichts mehr wahr. Das hat auch etwas mit Manieren zu tun.“ Womit nicht nur Torsten Frings charakterisiert war – sondern auch Nia Künzer.