Düsseldorf. . Die Gewerkschaft der Polizei warnt vor Blindflug im Straßenverkehr: Viele Verkehrsteilnehmer schreiben am Steuer Mails oder lesen Nachrichten.

Die 24-jährige Fahrerin übersieht auf der A 3 ein Stauende, prallt ohne zu bremsen unter einen stehenden Sattelzug. Neben der Toten liegt ein Mobiltelefon mit einer halb fertigen SMS im Display. Ein 27-jähriger Fußgänger stirbt unter einer Straßenbahn. Er hat die Warnsignale des Fahrers nicht gehört. Die Ohrstöpsel seines MP3-Players haben das verhindert. Ein Reisebus-Tourist läuft während der „Pinkelpause“ telefonierend auf die Autobahn. Er hat keine Chance.

Drei tödliche Verkehrsunfälle in NRW aus den vergangenen Jahren. Drei Vorgänge, bei denen Unfallfahnder der Polizei die Arbeit schnell erledigt haben. Aber da sind Dutzende andere Crashs der Kategorie „Ungeklärte Ursache“. Ihre Zahl steigt – 2014 in Köln um 1000 auf 9000.

Polizisten: Ablenkung im Straßenverkehr nimmt zu

Experten haben am Mittwoch auf ei­nem Verkehrssicherheitskongress der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Düsseldorf ihre Sicht klar gemacht: dass Handy-Telefonate und Internetkommunikation am Steuer bei solchen Unfällen wohl eine viel größere Rolle spielen. „Die alltägliche Erfahrung der Kollegen auf der Straße ist, dass die Ablenkung im Straßenverkehr zunimmt“, sagt der Landesvize der GdP, Michael Mertens. Er fürchtet: Wenn die „Apple Watch“ auf den Markt kommt, die Uhr, die ins Internet leitet, wird es schlimmer.

Zwar gibt es keine konkreten Zahlen über den tatsächlichen Missbrauch von Kommunikationsgeräten während der Fahrt. Jacquelin Lacroix vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat zitiert aber europäische Vergleiche, wonach fast 20 Prozent der Deutschen zugeben, „immer", „oft“ oder zumindest „manchmal“ am Steuer zu telefonieren. Schweden, Italiener und Österreicher räumen dies häufiger ein. Sind sie nur ehrlicher? Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BaSt) ist gerade dabei, dies näher zu untersuchen.

Ein Blick aufs Handy bei Tempo 130 bedeutet 72 Meter Blindflug

Klar ist: Telefonieren, simsen und mailen am Steuer sind gefährlich. Michael Mertens: „Wer bei Tempo 50 zwei Sekunden den Blick von der Fahrbahn abwendet, legt knapp 30 Meter im Blindflug zurück. Bei Tempo 130 sind es schon 72 Meter.“ Was ist zu tun?

Auch interessant

Die GdP fordert, das Straßenverkehrsrecht zu ändern. Erstens, weil „das bestehende Handyverbot am Steuer durch technische Entwicklungen überholt ist“. Siehe die Apple-Uhr. Zweitens: Weil die Polizei derzeit nur auf wackliger Rechtsgrundlage Mobiltelefone nach Unfällen sicherstellen kann, um einen Missbrauch nachzuweisen. Ernst Klein, Chef der Kölner Verkehrspolizei, berichtet von ei­ner Abmachung mit der örtlichen Staatsanwaltschaft. Die Kölner Ordnungshüter dürfen beim Verdacht auf eine Straftat das Unfall-Handy kassieren. Auslesen geht erst, wenn der Staatsanwalt zustimmt. In zwölf Fällen haben sie 2014 beschlagnahmt. Schnell gestanden die meisten Besitzer: Ja. Wir haben es beim Unfall genutzt.

Die Überlegungen der Verkehrspolizisten gehen weiter. Bei neuen Lkw ist es Vorschrift, dass sie mit Notbrems- und Spurhaltesystemen ausgestattet werden. Warum sollte das nicht auch für Pkw gelten? Und der Verkehrsgerichtstag denkt daran, es Fahrern durch Funktionsunterdrückungen unmöglich zu machen, die Geräte zu nutzen.

Das würde die junge Frau aus Chorweiler nicht lebendig machen, die in der Weihnachtsnacht nach einem Streit mit ihrem Freund auf der Straße telefonierte. Sie übersah das Auto auf der Fahrbahn. Es konnte nicht mehr bremsen.