Darmstadt. “Lügenpresse“ hat das Rennen zum “Unwort des Jahres 2014“ gemacht. Weitere Vorschläge waren “Pegida“ oder Putin-Versteher“

Mitten in der Debatte über die Pegida-Proteste ist der von dem Anti-Islam-Bündnis benutzte Begriff "Lügenpresse" zum "Unwort des Jahres 2014" gewählt worden. Das Schlagwort "war bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampfbegriff und diente auch den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien", teilte die "Unwort"-Jury unter dem Vorsitz der Sprachwissenschaftlerin Nina Janich am Dienstag in Darmstadt mit.

"Lügenpresse" werde "von Leuten gezielt verwendet, die Pegida steuern wollen", sagte Janich. Hintergrund seien "rechtsextreme Gründe" - was aber nicht allen Teilnehmern der Pegida-Demonstrationen bewusst sei. Mit dem Ausdruck würden Medien allgemein diffamiert. "Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit." Der Ausdruck sei siebenmal eingesandt worden. Insgesamt hatte es rund 1250 Vorschläge gegeben. Die sprachkritische Jury entscheidet aber unabhängig und richtet sich nicht nach der Häufigkeit der Einsendungen.

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Der kultur- und medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Marco Wanderwitz, lobte die Wahl. "Eine Woche nach dem terroristischen Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" und im Angesicht von Pegida trifft die Jury den Nagel auf den Kopf: Die Presse- und Meinungsfreiheit ist leider auch in den freiheitlichen westlichen Demokratien immer wieder aufs Neue bedroht", teilte Wanderwitz mit.

Gerügt wurden auch die Bezeichnungen "erweiterte Verhörmethoden" sowie "Russland-Versteher". Der erste Begriff sei durch den Bericht des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA bekanntgeworden. "Der Ausdruck ist ein Euphemismus, der unmenschliches Handeln, nämlich Folter, legitimieren soll", meinte die Jury. Bei "Russland-Versteher" werde "in der aktuellen außenpolitischen Debatte das positive Wort "verstehen" diffamierend verwendet".

Zum "Unwort des Jahres 2013" war "Sozialtourismus" gewählt worden, 2012 "Opfer-Abo", 2011 "Döner-Morde". Die "Unwort"-Aktion gibt es seit 1991.

Unwörter des Jahres im Überblick

Unwort des Jahres 2013: Sozialtourismus

2013 gab es eine Diskussion über Zuwanderung nach Deutschland. Politiker und Medien nutzen dabei den Ausdruck „Sozialtourismus“, um Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer aus Osteuropa zu machen.

Unwort des Jahres 2012: Opfer-Abo

Dieses Unwort wurde in mehreren Interviews von Jörg Kachelmann benutzt. Seiner Meinung nach hätten Frauen in unserer Gesellschaft ein "Opfer-Abo". Dadurch könnten sie ihre Interessen in Form von Falschbeschuldigungen gegenüber Männern durchsetzen. Das Wort stellt aber Frauen pauschal unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und somit selbst Täterinnen zu sein.

Unwort des Jahres 2011: Döner-Morde

Polizei und Medien bezeichneten mit "Döner-Morde" den Terror der NSU und die begangenen Morde an zehn Menschen.

Unwort des Jahres 2010: Alternativlos

In diesem Jahr wurde oft behauptet, Entscheidungsprozesse seien alternativlos und somit bestehe auch kein Bedarf an einer Diskussion. Die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung wird somit nur verstärkt.

Unwort des Jahres 2009: Betriebsratsverseucht

Eine Diffamierung der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen.

Unwort des Jahres 2008: Notleidende Banken

Die Volkswirtschaften geraten in ärgste Bedrängnis, die Steuerzahler müssen Milliardenkredite mittragen. Doch die Banken, die mit ihrer Finanzpolitik die Krise verursacht haben, werden zu Opfern stilisiert.

Unwort des Jahres 2007: Herdprämie

Das Wort diffamiert Eltern, insbesondere Frauen, die ihre Kinder zu Hause erziehen, anstatt einen Krippenplatz in Anspruch zu nehmen.

Unwort des Jahres 2006: Entlassungsproduktivität

Gewinne aus Produktionsleistungen eines Unternehmens, nachdem zuvor zahlreiche für «überflüssig» gehaltene Mitarbeiter entlassen wurden

Unwort des Jahres 2004: Humankapital

Menschen werden zu ökonomisch interessanten Größen degradiert.

Unwort des Jahres 2003: Tätervolk

Grundsätzlich inakzeptabler Kollektivschuldvorwurf.

Unwort des Jahres 2002: Ich-AG

Reduzierung von Individuen - als Aktiengesellschaft - auf sprachliches Börsenniveau.

Unwort des Jahres 2001: Gotteskrieger

Selbst- und Fremdbezeichnung der Taliban- und El Qaeda-Terroristen.

Unwort des Jahres 2000: National befreite Zone

Zynisch heroisierende Umschreibung einer Region, die von Rechtsextremisten terrorisiert wird.

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Neben der unabhängigen, sprachkritischen Jury mit ihrer Sprecherin in Darmstadt wählt davon getrennt die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden das "Wort des Jahres". Für 2014 wurde im Dezember die Bezeichnung "Lichtgrenze" bekanntgegeben. Der Name stand für ein Kunstwerk in Berlin anlässlich des Festakts im vergangenen November zum 25. Jahrestag des Mauerfalls. Knapp 7000 weiße Ballons stiegen in den Himmel. Sie hatten den Verlauf der deutschen Teilung als Lichtgrenze nachgezeichnet. (dpa)