Rom. Als die Finalisten nach ihrem Rennen über 200 Meter Freistil aus dem Foro Italico geführt wurden, plärrte aus den Lautsprechern der Hit der Killers „Are we human”. Menschen sind die Schwimmer sicherlich, die bei der WM in Rom in ihren Plastikanzügen einen Weltrekord nach dem anderen kippten.
Bei den Schwimm-Weltmeisterschaften in Rom purzeln die Rekorde. Die Schwimmer werden gefeiert - aber sind ihre Leistungen noch menschlich?
Auf dem Boulevard wird schon lange zum besseren Verkauf des Gedruckten nach übernatürlichen Vergleichen gesucht. In Italien ist Paul Biedermann, seitdem er den „Außerirdischen” Michael Phelps über 200 Meter Freistil wie einen Statisten aussehen ließ und ihm den Weltmeister-Titel samt Weltrekord entriss, „Il Gigantico”, der Gigantische. In Deutschland ist er „der Wundermann”. Aus dem Praktikanten der Stadtwerke Halle ist der Weltstar Paul Biedermann geworden.
Kein Biedermann
Und der 22-Jährige aus Halle an der Saale brauchte nicht allzu lange, um sich an seine neue Rolle zu gewöhnen. Vor Dutzenden Reportern aus fünf Kontinenten gab er erst eine Entschuldigung für sein schlechtes Englisch ab, ehe er in immer fließenderen Sätzen über sich und die Gründe für seine gewaltigen Leistungssprünge sprach. Paul ist kein Biedermann, er ist ein weltoffener und gut aussehender junger Mann, den scheinbar nichts aus der Ruhe bringt, der gerne lacht und angenehm zu plaudern weiß. Biedermann hat alles, was man im 21. Jahrhundert braucht, um ein Star zu werden. Die Prognose seines Managements, das künftige Jahressalär aus Werbeeinnahmen werde siebenstellig sein, ist eher realistisch als gewagt. Die jetzt schon als fast sicher geltende Wahl zum „Sportler des Jahres 2009” dürfte im Dezember dieses Jahres seinen Marktwert weiter steigern.
Von Stars will man viel mehr wissen als nur Zeiten und Rekorde. Und so kennen wir jetzt seine Oma Annemarie, die extra aus Deutschland in die italienische Hauptstadt gefahren ist, um ihren Enkel anzufeuern. Wir haben die Tränen gesehen, die ihr nach den Triumphen ihres Pauls über die Wangen gelaufen sind. Oma Annemarie drückt nicht allein die Daumen auf der sonnenüberfluteten Tribüne im Foro Italico. Seine Eltern, die Vermessungsingenieure Kerstin und Frank, sind ebenso in Rom wie Freundin Jule, die auch aus Halle kommt und Europäisches Verwaltungsmanagement studiert.
In aller Welt auf dem Zettel
Nicht nur in Deutschland will man alles über diesen Biedermann wissen. Geduldig schrieb der Doppel-Weltmeister von Rom die Namen seiner Familienmitglieder den Reportern aus der ganzen Welt auf einen Zettel.
Aber von einem Sportstar des dritten Jahrtausends will man nicht nur erfahren, dass er von seiner Mutter zum Schwimmen geschickt worden ist und mit vier Jahren die Seepferdchen-Prüfung nicht bestanden hat. Seine erstaunliche Leistungsverbesserung muss auch hinterfragt werden. Über sechs Sekunden hat er sich in Rom über 400 Meter, über drei Sekunden über 200 Meter Freistil gesteigert. Ein Grund ist sein neuer Arena-Anzug X-Glide.
20 Mal kontrolliert
Hartes Training sei sein Erfolgsgeheimnis, sagt er: „Ich bin sauber. Ich bin 20 Mal im vergangenen Jahr kontrolliert worden.” Sprint-Olympiasiegerin Marion Jones ist über 200 Mal negativ getestet worden und war nach eigenem Geständnis jahrelang gedopt. Natürlich gilt für Biedermann die Unschuldsvermutung, doch in diesen Zeiten sind Rekorde immer eine Glaubensfrage. Biedermanns Weltrekorde können durchaus mit dem Zusatz Sensation etikettiert werden, aus dem Nichts ist er aber nicht gekommen, er war schon 2004 dreifacher Junioren-Weltmeister.
Seine Rekorde werden wohl sehr lange nicht gebrochen werden, da zum 1. Januar 2010 die Rückkehr zur Badehose beschlossen ist. Möglicherweise werden seine Rekorde dann sogar gestrichen. „Damit habe ich kein Problem”, sagt Paul Biedermann, „ich schwimme lieber in der Badehose. Dann zählt nur der Schwimmer, nicht der Anzug.” Die Frage nach Doping aber wird bleiben. Nicht nur für Paul Biedermann. Für alle Stars.