Essen/Bochum/Schmallenberg. Der Körper schmerzt, als hätte man ständig starken Muskelkater. So beschreiben Menschen mit Fibromyalgie, was sie verspüren. Die Krankheit wird oft nicht ernst genommen, selbst von Medizinern. Dabei sprechen Experten von einer als Schmerz erlebten Empfindlichkeit. Aber es gibt Therapien.
Experten schätzen, dass bis zu vier Prozent der Deutschen unter Fibromyalgie leiden, Selbsthilfegruppen gehen von bis zu 2,6 Millionen Betroffenen aus.
Woran erkennt man Fibromyalgie?
Wer unter dem sogenannten Fibromyalgie-Syndrom (FMS) leidet, fühlt sich schnell müde, erschöpft, schläft schlecht und kann sich nicht gut konzentrieren. In Schüben, die tagelang dauern können, treten ständig woanders brennende oder krampfartige Schmerzen auf – im Kopf, in den Armen, in der Blase. Frauen sind häufiger betroffen als Männer – sie können auch depressive Symptome zeigen.
Monika Jäger, die vom sauerländischen Schmallenberg aus die Mitglieder der Selbsthilfeorganisation Fibromyalgie-Liga Deutschland betreut, beschreibt ihre Krankheit als „enormen Muskelkater, der an wechselnden Orten auftritt und nicht weggehen will“. Betroffene können es sogar mehr als unangenehm finden, wenn jemand bloß mit einem Wattebausch über ihre Haut streicht. Der Schmerzmediziner Dr. Rolf Frieling aus Bochum kennt solche für ihn seinerzeit rätselhaften Patienten seit den 1980er-Jahren.
Was ist das für eine Krankheit?
„Inzwischen geht man weltweit davon aus, dass es sich um eine neurologische Systemerkrankung handelt, deren Ursachen sich aus mehreren Faktoren zusammensetzen“, sagt Rolf Frieling. Der Name der Krankheit leitet sich von Fibra (lateinisch für Faser), Mys (griechisch für Muskel) und Algos (griechisch für Schmerz) ab. Forscher der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Würzburg und amerikanische Kollegen haben nun in der Haut von Betroffenen ausgedünnte kleine Nervenfasern festgestellt, die das Fibromyalgie-Syndrom in die Nähe einer neurologischen Erkrankung rücken. Rolf Frieling: „Zu Recht spricht man nun von einer neurologischen Systemerkrankung, für die eine zentrale Sensibilisierung vorliegen muss. Dieser Zustand erlaubt es dem Gehirn, völlig unvermittelt verstärkte Schmerzen zu produzieren – diese kommen noch zu denen der vorliegenden Überempfindlichkeit hinzu.“
Warum entstehen im ganzen Körper Schmerzen?
Schmerzexperte Frieling erklärt dieses Gefühl als „eine Überempfindlichkeitssituation, die durch Defizite der körpereigenen Schmerzhemmung noch verstärkt wird“. Die Schmerzempfindlichkeit kann man vererbt bekommen (inzwischen sind etwa 110 Schmerzgene bekannt). Es ist aber auch möglich, dass sie infolge langjähriger starker Reize durch Gewebeschäden, Nervenverletzungen, rheumatischen oder psychiatrischen Erkrankungen oder nach belastenden Lebensereignissen entsteht.
Was können Ärzte tun?
Zunächst geht es darum, Patienten zuzuhören und ihre Beschwerden ernst zu nehmen – auch wenn Laborwerte oder Röntgenuntersuchungen unauffällig sind. Rolf Frieling: „Medikamente mit Botenstoffen wie Noradrenalin können die bremsende Wirkung der ausgefallenen Schmerzhemmung im Körper wieder in Gang bringen.“ Die nebenwirkungsreichen „Rheuma“-Schmerzmittel (Diclofenac, Ibuprofen) sollten nicht eingenommen werden, allerdings bleibt Flupirtin (bei seit 22 Jahren bekannten Nebenwirkungen und Vorsichtsmaßnahmen) für ihn ein sehr wirksames Mittel, besonders bei Schmerzen der Skelettmuskulatur. Frieling: „Diese Substanzen können zusammen mit nicht-medikamentösen Verfahren wie einer professionell angewandten Achtsamkeitsmethode die Beschwerden bis zu 30 Prozent lindern.“
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Manchem helfen auch naturheilkundliche Verfahren. „Man kann es mit Akupunktur oder asiatischen Bewegungsformen wie Tai Chi und Qigong versuchen“, sagt die Düsseldorfer Schmerztherapeutin Dr. Linda Tan, die sich mit westlicher und asiatischer Naturheilkunde befasst. Sie behandelt Muskelverspannungen außerdem mit speziellen Infusionen, die das Lokalanästhetikum Procain enthalten. Es soll die Blutzirkulation in Schwung bringen. Um die Muskelschichten anzuheben und so für Entspannung zu sorgen, wendet die Ärztin die klassische Schröpfmethode an: Gläser werden mithilfe eines Gummiballs auf die Haut aufgesetzt. „Das kann man auch zuhause machen, um einem erkrankten Partner Linderung zu verschaffen“, sagt Tan.
Kann man sich auch selbst helfen?
Oberstes Prinzip ist laut dem Schmerztherapeuten Frieling die angepasste Bewegung, je nach Tagesform. Selbst bei einem Schmerzschub sollte man sich nicht schonen und ruhig bleiben, sondern ein wenig aktiv sein – etwa bei einem Spaziergang. Alle weiteren Bewegungsformen wie Schwimmen oder Tanzen sind abhängig vom Schmerzempfinden und der momentanen Leistungsfähigkeit.
Müssen immer Tabletten genommen werden?
„Nein. Vor allem keine Schmerzmittel, da diese nicht ansprechen oder mehr Nebenwirkungen als gewöhnlich zeigen“, sagt Rolf Frieling. Er rät, Spritzen und Eingriffe, die allein wegen der Schmerzen vorgenommen werden, zu vermeiden. Dazu zählen etwa Bandscheibenoperationen ohne erfassbare neurologische Symptome. Wichtig seien angepasste, fachübergreifende, individuelle Therapiemaßnahmen wie etwa eine multimodale Schmerztherapie.
Selbsthilfeorganisationen spielen bei der Beratung und dem Austausch über sinnvolle Bewegungs- und Behandlungsmethoden eine wichtige Rolle. Monika Jäger von der Fibromyalgie-Liga Deutschland: „Krankenkassen akzeptieren uns und Ärzte, die nicht weiterwissen, sind froh, dass es uns gibt.“