Washington/Cleveland. Im Fall des erschossenen Tamir Rice hat die Polizei in Cleveland ein Video veröffentlicht. Es zeigt, wie der Polizist Timothy Loehmann binnen weniger Sekunden nach Eintreffen das Feuer eröffnete. Tamir Rice hatte lediglich mit einer Spielzeugpistole gespielt. Der Fall löste in den USA Proteste aus.

Dieses Video kommt für die wegen der Ereignisse in Ferguson bereits extrem unter Druck stehende Polizei in Amerika absolut zur Unzeit: Tamir Rice, der 12-jährige Junge, der am Samstag in Cleveland auf einem Spielplatz von Beamten erschossen wurde, weil sie seine Spielzeugpistole irrigerweise für echt hielten, ist offenbar das Opfer eines überforderten Heißsporns in Uniform geworden.

Ein am Mittwochabend offiziell freigegebenes Überwachungsvideo der Stadt in Ohio zeigt, wie das Kind binnen weniger Sekunden nach Eintreffen des Polizeiwagens von dem 26-jährigen Streifenbeamten Timothy Loehmann niedergeschossen wurde.

Keine Warnung, kein Zögern

Eine Phase der Gefahrenabschätzung oder warnenden Ansprache gab es nicht.

Die Polizisten gingen nach Informationen der Leitstelle, die sich später als fatal unvollständig erweisen sollten, von einem bewaffneten Jugendlichen aus. Ein anonymer Anrufer hatte ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Waffen-Imitation hingewiesen. Diese Information erreichte Loehmann und seinen Partner, Officer Frank Garmback (46), aber nicht. Sie stellten erst nach den tödlichen Schüssen fest, dass der afro-amerikanische Schüler nur die Attrappe einer Schnellfeuerwaffe bei sich trug.

461 "gerechtfertigte Tötungen" durch Polizeibeamte im Jahr 2013

Tamir Rice hatte nicht auf die Beamten gezielt, war aber laut Polizei-Vizechef Ed Tomba nicht sofort der Anweisung nachgekommen, die Waffe fallen zu lassen. Gegen die Beamten ermittelt der Staatsanwalt. Die Eltern machen der Behörde schwere Vorwürfe. „Der Tod von Tamir durfte nicht geschehen“, sagte sein Vater George Henderson. Nach Bekanntwerden des Videos kam es in Cleveland zu Protesten vor dem Polizei-Hauptquartier.

Der Fall erregte gestern aber nicht nur wegen der zeitlichen Nähe zu den Nachwirkungen des Todes von Michael Brown für Aufsehen, der im Sommer in Ferguson von einem weißen Polizisten erschossen worden war. Nach einer neuen Statistik der Bundespolizei FBI wurden 2013 in den USA 461 Menschen Opfer sogenannter „gerechtfertigter Tötungen“ durch Polizeibeamte. Darunter versteht der Polizei-Jargon Fälle, in denen die Beamten im Einsatz mit tödlicher Wirkung zur Waffe griffen und später kein Regelverstoß festgestellt wurde.

Laut der Zeitung „USA Today“, die von einer hohen Dunkelziffer ausgeht, steigt die Zahl trotz allgemein sinkender Mordraten seit fast zehn Jahren kontinuierlich an. Zum Vergleich: Nach Recherchen des Forschungs-Instituts Pew sterben in Deutschland statistisch gesehen acht Menschen im Jahr durch Polizeikugeln.