Berlin. .
Wahlkampf in Berlin: In den Umfragen liegt SPD-Spitzenkandidat Klaus Wowereit weit vorn. Während Herausforderin Künast (Grüne) sich an Inhalten abrackert, surft Wowereit auf einer Welle der Emotionen dem Sieg entgegen.
Die Zuhörer springen auf. Sie rufen, recken die Arme in die Luft. Denn gleich wirft er kleine Stoffbärchen ins Volk. „Ich habe einen“, gluckst die 19-jährige Mai Nguyen-Thi. Dann schreitet er von der Bühne, genießt sein Bad in der Menge und beglückt die Menge mit Autogrammen. Es ist kein Popstar, der sich im Einkaufscenter von Marzahn feiern lässt, sondern Klaus Wowereit (SPD), der Regierende Bürgermeister und Berlin-Versteher. Willkommen im Wohlfühlwahlkampf.
Am 18. September wählen die Hauptstädter, von denen die Hälfte noch unentschlossen ist. Derzeit liegt die SPD bei 32, die CDU bei 21 und die Grünen bei 19,5 Prozent. Dahinter tummeln sich die Linke (11) sowie die Piratenpartei (5,5) und die FDP (3 Prozent). So läuft alles auf Wowereit als altes und neues Stadtoberhaupt und potenziellen Kanzlerkandidaten hinaus. Es sei denn, Grünen-Frontfrau Renate Künast ginge wider Erwarten eine Zweckehe mit der CDU ein. Dies hat sie aber jüngst abgelehnt.
Wowereit geht selbst zum Bäcker
Im Rennen ums Rote Rathaus setzt die SPD voll auf die Popularität des Bürgermeisters. Plakate zeigen Wowereit im Kreise glücklicher Jugendlicher, mit einer glücklichen Oma an der Hand, mit einem glücklichen Kleinkind, das ihn mit dem Stoffkrokodil Schnappi in die Nase zwickt. Darunter steht: „Berlin verstehen.“ Inhalte? Nicht vorhanden!
Auch im Einkaufscenter behelligt Wowereit die 200 Zuhörer eher randläufig mit konkreten Plänen. Er fordert Gratisbildung, will Arbeit schaffen, hohe Mieten durch 30000 neue landeseigene Wohnungen bekämpfen, den Flughafen Berlin-Brandenburg vollenden. Zudem steht er für den Ausbau der Stadtautobahn A100 von Neukölln nach Treptow. Drei Kilometer für 420 Millionen Euro. Dann plaudert Wowereit über seine Kochkünste und darüber, dass er sonntags selbst zum Bäcker geht. Auch ein Bürgermeister hat mal Hunger. Die Zuhörer sind begeistert. Wowi-Wowi-Rufe. „Er ist in natura wie im Fernsehen“, schwärmt eine ältere Dame. Vermisst hat sie nichts: „Er hat alles Wichtige gesagt.“
Künast auf dem absteigenden Ast
Während Wowereit eher mit Emotionen punktet, rackert sich Renate Künast an Inhalten ab. So an der S-Bahnstation Treptower Park. „Kommen Sie herein“, sagt Timucin Taskiran. Die Spitzen-Grüne lässt sich nicht zweimal bitten. Bei Pflaumen und Tee hockt sie mit dem 24-Jährigen in der Dönerbude. Rasch kommt man zur Sache. Taskiran will den Weiterbau der A100. „Damit verlagert man den Stau in die Stadt“, kontert die Grüne und wirbt für den S-Bahn-Ausbau. Später lobt Taskiran Künasts „sehr nette“ Art. Wählen will er sie dennoch nicht.
Das Gespräch passt zur Situation der 55-Jährigen. Obwohl „Renate arbeitet“, worauf auch ihre Plakate hinweisen, ist Künast auf dem absteigenden Ast. Mit 30 Prozent lagen die Grünen im Herbst 2010 vor der SPD und träumten vom Roten Rathaus. Nun ist die Atomdebatte abgeräumt. Zudem verschreckte Künast die Bürger zum Wahlkampfstart mit der Idee, mehr Tempo-30-Zonen einzuführen. So muss sie aufpassen, dass die Ökopartei nicht noch hinter der CDU landet. Es wäre eine bittere Schlappe, obwohl die Grünen ihre 13,1 Prozent vom letzten Mal locker toppen werden.
Eilig stapft Künast zur S-Bahn. Genug geplaudert. „Irgendwelche inhaltlichen Fragen?“, fragt die Spitzengrüne fordernd in die Runde. Natürlich! So erzählt Künast, dass sie nach einem Wahlsieg als erstes mehr Geld in die Schulsanierung stecken und 400 Lehrer einstellen würde. Wie die Konkurrenz wollen auch die Grünen gegen hohe Mieten vorgehen, die in den letzen beiden Jahren im Schnitt um acht Prozent gestiegen sind. Zudem sind sie gegen die A100.
Ein Wahlkampfschlager sieht anders aus. Stattdessen muss Künast permanent erklären, ob sie denn überhaupt zu Berlin passt. „Kein Mensch empfindet mich hier als fremd, sondern als jemand, der sich um die Sorgen der Leute Gedanken macht“, verteidigt sich die Spitzengrüne, die bei einer Wahlniederlage Fraktionschefin im Bundestag bleiben will.
„Berlin - eine Wahl zwischen Pest und Cholera.“
Im Vergleich zu Harald Wolf wirkt selbst Künast wie ein Popstar. Klausnerplatz, Charlottenburg: Staubtrocken spult der Wirtschaftssenator vor 150 Leuten, meist alten Männern, das Wahlprogramm der Linken ab. Es geht um kleinere Schulklassen, die Verstaatlichung der S-Bahn und bezahlbare Mieten. Dann zündet Fraktionschef Gregor Gysi ein rhetorisches Feuerwerk gegen die Regierung. Wolf lauscht lieber andächtig, anstatt mit seinen Wählern zu sprechen. „Er ist etwas trocken“, stöhnt Falk Heidenpeter. Dabei habe der Senator Recht, mit dem was er sage. „Er ist verlogen“, kontert Martin Hoffmann. Der Senat habe zehn Jahre nichts gegen die Mieten gemacht. So waren es auch die landeseigenen Wohngenossenschaften, die ihre Mieten gesteigert und damit das Niveau insgesamt erhöht haben. Die Linke also nicht wählen? Soweit will Hoffmann nicht gehen, wenngleich er klagt: „In Berlin ist es eben eine Wahl zwischen Pest und Cholera.“
Wowereit würde am liebsten mit den Grünen oder der Linken regieren. Wenig hält er von der erstarkten CDU. Zuletzt hat sie, wie die bei drei Prozent siechende FDP, ihr Heil in Plakaten mit den brennenden Autos in Berlin gesucht. CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel will mehr Industriearbeitsplätze schaffen, den A100-Ausbau und landeeigene Grundstücke an Investoren geben, die dann preiswerte Mietwohnungen anbieten sollen. Ins Rote Rathaus wird dies Henkel kaum katapultieren. „Es gibt keine Wechselstimmung im klassischen Sinne“, sagt er selbst. Immerhin ist die Stimmung an der Basis gut. „Früher wurden wir beschimpft, jetzt hören uns die Leute interessiert zu“, erzählt ein CDU-Wahlkämpfer am Alexanderplatz.