Was hat es für Folgen, dass die Ratingagentur Standard & Poor's die Kreditwürdigkeit der USA herabgesetzt hat? Folgt nun die Weltwirtschaftskrise - einige Erklärungsversuche

Als wenn es nicht schon schlimm genug wäre, dass sie jetzt als unzuverlässiger Schuldner dastehen, sie, die USA, mächtigste Wirtschaftsnation der Welt. Jetzt müssen sie sich auch noch von China maßregeln lassen, der kommunistisch regierten Volksrepublik, ihrem einzig denkbaren Nachfolger als wirtschaftsstärkstes Land der Erde - und ihrem größten Gläubiger. China habe jedes Recht, von den Vereinigten Staaten Strukturreformen zu fordern, damit diese ihr Schuldenproblem in den Griff bekommen, ließ die Führung in Peking mitteilen, kaum dass die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) die Kreditwürdigkeit der USA herabgesetzt hatte. Ach ja, und warum muss eigentlich der US-Dollar immer noch Weltleitwährung sein?

Anschaulicher als mit dieser kühl kalkulierten Reaktion könnten die derzeitigen Kräfteverhältnisse gar nicht dargestellt werden: Hier China, die Exportgroßmacht, die über eine Billion Dollar ihrer Devisenreserven in US-Staatsanleihen angelegt hat - und jetzt um seine Anlagen bangt. Und dort die USA, die sich von der weltweiten Finanzkrise nie richtig erholt haben und schon wieder in den Abgrund einer neuen Rezession blicken - und zittern, dass die Chinesen einen Teil ihrer US-Schatzbriefe auf den Markt werfen. Was sie, so mutmaßen jedenfalls Experten, wohl nicht machen werden, denn die Staatsanleihen sind auch mit einem "AA"-Rating sicher und werfen Renditen ab. Außerdem muss das Geld irgendwo angelegt werden. Milliardenbeträge können ja nicht, argumentiert der Ökonom Birger Priddat im Deutschlandfunk, einfach im Schuhkarton herumliegen. Zudem sichert sich China, in dem es im Spiel bleibt, großen Einfluss auf Washington.

Die Angst vor der Kettenreaktion

China ist - jedenfalls so lange, bis der eigene Binnenmarkt das Milliardenvolk unabhängig vom Ausland macht - darauf angewiesen, dass die Amerikaner ihre Produkte kaufen. Allerdings wird es für die ohnehin von der Immobilien- und Finanzkrise schwer gebeutelten US-Bürger möglicherweise künftig teurer, sich für größere Anschaffungen mit Krediten einzudecken. Denn mit der schlechteren Bonität des Staates könnte eine Kettenreaktion ausgelöst werden: Weil das Ausfallrisiko an der Spitze gestiegen ist - ob nun real oder nur auf dem Papier - könnten die dadurch verursachten höheren Kosten nach unten durchgereicht werden. Weil also das Land, jedenfalls in den Augen von S&P, ein unsichererer Kantonist geworden ist, könnten US-Verbraucher höhere Zinsen für ihre Ratenkredite zahlen müssen.

Könnten, aber sicher weiß im Moment niemand, welche konkreten Folgen die Abstufung für das Land hat. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase um die Jahrtausendwende hat es acht Jahre - und eine fatale Entscheidung der US-Regierung - gebraucht, bis es an Wall Street erneut eine Börsenpanik gegeben hat, die mit dem jüngsten 500-Punkte-Absturz des Dow Jones vergleichbar ist. Seither sind nur drei Jahre vergangen, in denen die US-Regierung Abermilliarden an Dollar für Konjunkturpakete, notleidende Banken und Unternehmen sowie für zwei Kriege ausgegeben hat.

Das Land ist, da sind sich alle Fachleute einig, schwächer als 2000 und schwächer als 2008, und deshalb trifft der Magenschwinger von S&P umso schmerzhafter. Die tief gekränkte Reaktion aus Washington: Die Agentur hat sich schlicht verrechnet, um zwei Billionen Dollar. Dabei hätte man dort eigentlich vorbereitet sein sollen, schließlich hat S&P den Schritt schon im April angekündigt. Schon damals wurden die Finanzmärkte von einem kurzen Beben erschüttert, wandten sich dann aber rasch den ebenfalls hoch verschuldeten Europäern zu.

Krugman hält S&P Panikmache vor

Was bedeutet die Abstufung nun also für die USA, was für die Weltwirtschaft? Es kann einiges, es muss aber nichts passieren, es gibt ja keinen Präzedenzfall, schreiben die großen US-Zeitungen. Es könnte das gesamte Weltfinanzsystem zusammenbrechen, kommentiert die "Washington Post", denn es beruhe ja auf der Annahme, dass Staatsanleihen sicher sind - "risk-free", wie es so schön heißt. Schließlich seien auch die Ramschkredite, die die Finanzkrise 2008 auslösten, als ausfallsicher bewertet worden.

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman dagegen wirft S&P in der "New York Times" vor, mit falschen Zahlen Panik zu schüren, um dann zu dem moralischen Urteil zu kommen: Weil die Ratingagenturen vor der Lehman-Pleite auf ganzer Linie versagt haben, hätten sie kein Recht, jetzt ein Urteil über die finanzielle Situation der USA abzugeben.

Der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, sagte, das Finanzsystem leide an dieser Stelle generell an einem Konstruktionsfehler: "Die Ratingagenturen sind für das, was sie tun, nicht haftbar. Auf der anderen Seite geht ihr Urteil ein in Regulierungsvorschriften, das heißt, institutionelle Anleger müssen sich nach ihrem Rating richten", erläuterte er die Misere.

Horns Vorschlag zur Auflösung des Dilemmas: Die Urteile der Ratingagenturen aus den Regulierungsvorschriften einfach herausnehmen. "Wir müssen ihnen die politisch verliehene Macht nehmen und sie tatsächlich als Meinungsäußerung im Chor vieler Meinungen behandeln." Die Debatte über die Macht der Ratingagenturen werde angesichts dieser Herabstufung wieder aufflammen - "und vielleicht auch zu einer Änderung führen".

Über eines sind sich die meisten Fachleute einig: So lange S&P mit seiner Einschätzung alleine steht und die beiden anderen großen Bewerter - Moody's und Fitch - bei ihrem Top-Urteil für die USA bleiben, wird es keine größeren Verwerfungen geben.