Kabul/Berlin.

Es ist eine Zeremonie mit hoher Symbolkraft, die sich da im nordafghanischen Masar-i-Scharif abspielt: Eine Fahne der NATO-Truppe ISAF wird eingeholt, eine afghanische Fahne wird gehisst. Der Provinzgouverneur hält eine Rede, afghanische Soldaten singen die Nationalhymne. Damit übernahm die afghanische Armee am Samstag offiziell von der ISAF die Sicherheitsverantwortung über Masar-i-Scharif, wo sich das größten Bundeswehrfeldlager am Hindukusch befindet. Doch die Übernahme der Sicherheitsverantwortung ist ungeachtet aller Symbolik vor allem eine Reise ins Ungewisse - und nicht wenige befürchten einen blutigen Ausgang.

Derzeit übernehmen afghanische Armee und Polizei die Sicherheitsverantwortung in zunächst drei Provinzen und vier Städten. Bis Ende 2014 sollen die Afghanen schrittweise die gesamte Sicherheitsverantwortung für ihr Land schultern, bis dahin sollen auch alle ISAF-Kampftruppen das Land verlassen haben. Ausgewählt wurden die nun übergebenen Gegenden mit Bedacht - sie gelten als vergleichsweise sicher. Denn die Regierungen in Kabul und der westlichen Staaten fürchten wenig mehr als afghanische Sicherheitskräfte, die sich beim Kampf gegen die Aufständischen als überfordert erweisen könnten.

NATO-Staaten wollen ihre Soldaten zurückholen

Die schrittweise Übergabe der Sicherheitsverantwortung kommt zeitgleich mit dem Beginn des Rückzugs der ersten NATO-Soldaten aus Afghanistan. Die USA wollen noch in diesem Jahr 10.000 Soldaten aus Afghanistan zurückholen, bis zum Sommer 2012 sollen insgesamt 33. 000 Soldaten heimkehren. Auch andere NATO-Staaten wollen im zehnten Jahr des Einsatzes in Afghanistan ihre Kontingente verkleinern - das gilt auch für Deutschland, wenn sich die Bundesregierung bislang auch mit konkreten Zahlen zurückhält.

Die Übergabe der Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände soll daher auch zeigen, dass ein schrittweiser Rückzug der NATO-Soldaten möglich ist. Beobachter halten die Pläne für die Übergabe ebenso wie für den Truppenabzug aber für verfrüht: Es handle sich um ein „sehr bequemes politisches Trugbild“ des kriegsmüden Westens, sagt etwa Candace Rondeaux von der International Crisis Group. Die afghanischen Sicherheitskräfte gelten als unzureichend ausgebildet und wenig motiviert; daran, dass sie in absehbarer Zeit ohne die Unterstützung der ISAF in ihrem Land für Sicherheit sorgen können, herrschen erhebliche Zweifel.

Warnung vor verstärkten Angriffen der Aufständischen

Cornelius Vogt von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik warnt zudem vor verstärkten Angriffen der Aufständischen genau an den Orten, an denen die Afghanen jetzt die Sicherheitsverantwortung übernehmen. „Dann könnten die Aufständischen zeigen, dass die afghanische Armee nicht in der Lage ist, einer sich verschlechternden Sicherheitslage Herr zu werden - und damit die Legitimität der Regierung in Kabul untergraben“, sagt Vogt. Auch bei der Bundeswehr wird ein solches Vorgehen der Taliban befürchtet: „Dann könnte es kritisch werden“, sagt ein Offizier.

Auch kommt es in den nun übergebenen Gegenden immer wieder zu Gewalt. So wurden bei vermutlich von Aufständischen angezettelten Ausschreitung in Masar-i-Scharif im April sieben UN-Mitarbeiter getötet, erst am Mittwoch starben bei einem Sprengstoffanschlag in der Stadt vier Zivilisten. Nur einen Tag vor der offiziellen Übergabe der Sicherheitsverantwortung versicherte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) bei einem Besuch in Masar-i-Scharif aber, die Stadt sei auf die neue Verantwortung gut vorbereitet. Westerwelle versprach: „Das ist eine neue Arbeitsteilung, aber nicht das Ende unserer Kooperation.“

Für deutsche Soldaten ändert sich erstmal wenig

Tatsächlich ändert sich für die mehr als 3000 deutschen Soldaten, die laut Bundeswehr in und um Masar-i-Scharif stationiert sind, erst einmal wenig. Denn der ISAF-Einsatz in dem Land geht weiter. Zudem war bislang Schweden für die Sicherheit im Raum Masar-i-Scharif zuständig, das skandinavische Land leitet das dortige Regionale Wiederaufbauteam. (afp)