Essen/Duisburg. . Seit fast einem Jahr warteten Vertreter von Hinterbliebenen der Oper der Loveparade-Katastrophe auf eine Entschuldigung von Duisburgs OB Sauerland. Heute hat er sich vor dem Rat erklärt. Reue hätte der OB schon längst zeigen können - ohne sich juristisch zu gefährden.

Die Erklärung hat höchstens zwei Minuten gedauert, aber die Hinterbliebenen der Loveparade-Katastrophe von Duisburg mussten fast ein Jahr auf sie warten: "Als OB der Stadt trage ich moralische Verantwortung und möchte mich bei allen Hinterbliebenen und Geschädigten entschuldigen." Mit diesem Satz (hier der komplette Wortlaut der Erklärung) hat Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland am Montag im Ratssaal des Rathauses erstmals öffentlich eine Entschuldigung für das Unglück vom 24. Juli 2010 vorgetragen, bei dem 21 jungen Menschen zu Tode gekommen waren. Aus Sicht von Juristen wäre dies für Sauerland schon längst möglich und nötig gewesen. Ohne dass sich der OB in Bezug auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft juristisch in Gefahr gebracht hätte.

Für Unbeteiligte mag eine Enschuldigung vielleicht nur eine Floskel sein, für die Angehörigen der 21 Opfer der Loveparade-Katastrophe ist sie wohl mehr: Eine Würdigung ihres Leids und eine Bekundung des Mitgefühls, die ihre Trauer respektiert und ihnen hilft, das Erlittene zu verarbeiten. Doch Duisburgs Stadtoberhaupt hatte sich bis dato nicht dazu durchringen mögen. Jüngste Äußerungen des OBs wurden statt dessen als „geheuchelt“ empfunden: „Er hat sich lediglich dafür entschuldigt, sich nicht entschuldigt zu haben“, sagte Jürgen Hagemann, Vorsitzender des Vereins „Massenpanik Selbsthilfe“ mit Blick auf ein jüngst veröffentlichtes Interview in einem WDR-Fernsehbeitrag.

Ist Sauerland einem juristischen Missverständnis zum Opfer gefallen?

Nun also die Entschuldigung - man fragt sich: Was war daran für den OB so schwer, dass man so lange darauf hatte warten müssen?

Aus Sicht von Juristen jedenfalls ist es unverständlich, dass Sauerland so lange gezögert hat. „Ein klares, deutliches ‘Es tut mir leid’ ist kein Schuldeingeständnis“, meint der Düsseldorfer Strafverteidiger Udo Vetter, Betreiber des jüngst mit der Grimmepreis ausgezeichneten Online-Website lawblog.

Auch mit der Formulierung „Ich wünschte, ich könnte es wieder rückgängig machen“ hätte Sauerland sich in punkto Strafverfolgung keinen Strick gedreht, glaubt Vetter: „Nur wenn man sich sehr ungeschickt ausdrückt, kann eine Entschuldigung rechtlich problematisch werden.“ Etwa wenn Sauerland öffentlich eigene Verfehlungen eingestanden hätte. Doch auch wenn der OB von sich aus verkündet hätte, bei der Genehmigung der Loveparade persönlich Fehler gemacht zu haben, etwa durch Leichtfertigkeit, „hieße das noch nicht, dass man ihm vorwerfen kann, er hätte im Vorfeld der Loveparade Tote in Kauf genommen.“

Aber soweit kam es am Montag nicht: Nach fünf Minuten war die Erklärung im Rat verlesen. Sauerland bekundete noch seinen Dank der Polizei und den Helfern, die Angehörige der Opfer begleitet und gestärkt haben, und den Initiatoren des Gedenkens. Nach einer Gedenkminuten für ein verstorbenes Ratsmitglied ging der Rat anschließend zur Tagesordnung über.

Ist Sauerland in punkto Entschuldigung einem Missverständnis zum Opfer gefallen? Es lässt sich nur vermuten. Aus Sicht von Udo Vetter kann es durchaus Gründe geben, die gegen eine Entschuldigung gesprochen haben. Vetter jedenfalls glaubt: "Vielen Menschen wäre nachträglich wohl viel Leid erspart worden, hätte der OB eher die moralische Verantwortung gezeigt."

Ein drastisches Beispiel dafür, wie wichtig Entschuldigungen für Opfer-Angehörige sein können und wie fatal es sich auswirken kann, wenn sie ausbleiben, gibt der Flugzeugabsturz von Überlingen aus dem Juli 2002. Damals waren über dem Bodensee eine russische Chartermaschine und ein Frachtflugzeug zusammengestoßen. Unter den 71 Toten waren viele Kinder. Eineinhalb Jahre nach dem Unglück wurde der schweizerische Fluglotse, der in der Nacht alleine Dienst hatte, getötet. Täter war ein Vater, der bei dem Absturz Frau und Kinder verloren hatte. Er hatte Rache geübt, angestachelt durch die Firmenpolitik der Flugaufsicht, ein privatwirtschaftliches Unternehmen, deren Geschäftsführung sich geweigert hatte, sich nach dem Absturz bei den Angehörigen zu entschuldigen - wohl weil man damit teure Konsequenzen in punkto Schadensersatz befürchtet hatte. Der Fall wurde verfilmt in einem Doku-Drama.

Der Vergleich soll hier nur eines zeigen: Entschuldigungen können sehr bedeutend für Angehörige sein.