Essen/Köln. . Nach seinen per Twitter verschickten unten-ohne-Fotos ist der US-Abgeordnete Anthony Weiner zurückgetreten. DerWesten hat mit einer Psychologin über die Realität von virtuellen Seitensprüngen gesprochen.

Nach seinen erotischen Online-Eskapaden ist der US-Abgeordnete Anthony Weiner zurückgetreten. Per Twitter hatte er unten-ohne-Fotos verschickt– versehentlich an die ganze Welt statt nur an seine virtuelle Geliebte. Gleichzeitig erwartet seine Frau das erste Kind der beiden. DerWesten fragt: ein Flirt im Chatroom, Nacktfotos per Twitter, Sex im Online-Rollenspiel – wo fängt der Betrug an? Wir haben mit Dr. Christiane Eichenberg gesprochen. Die Psychologin von der Universität Köln ist Expertin für die Schnittstellen von Psychologie und Internet. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte sind soziale Beziehungen im Internet.

Was verbirgt sich alles hinter dem Begriff ‚Cybersex’?

Cybersex, oder Sex im Internet, deckt ein breites Spektrum ab. Das fängt an, wenn man sich über sexuelle Themen im Internet informiert, geht weiter in der Online-Beratung zu entsprechenden Fragen bis hin zum Cyberflirt. Im engeren Sinne verstehen wir unter Cybersex Handlungen mit einem virtuellen Gegenüber, mit dem erotische Fantasien ausgetauscht werden mit dem Ziel der sexuellen Erregung.

Wie real ist ein virtueller Seitensprung?

Das hängt davon ab, wie die Beziehungspartner Treue definieren. Das muss in jeder Beziehung ausgehandelt werden: Bei dem einen ist Knutschen mit einem anderen noch okay, bei dem anderen ist das schon Fremdgehen. Genau so müssen sich die Partner einigen, inwiefern mediale Kontakte mit welcher Intensität dazugehören oder eben nicht.

Für jede sexuelle Vorliebe der passende Partner

Was ist der Reiz am Sex im Internet?

Die Reize daran sind sehr vielfältig. Man kann dort anonym bleiben, es ist rund um die Uhr verfügbar, man kann Kontakte jederzeit abbrechen, Parallelkontakte sind möglich, über entsprechende Foren finden sich für jede sexuelle Vorliebe Partner...

Wie verändert Cybersex unser Verständnis von Beziehungen, Treue, Betrug?

Das Internet wird, wie alle anderen Medien auch, zur Anbahnung von Beziehungen genutzt. Es hilft auch, Beziehungen zu erhalten; man kann zum Beispiel mit seiner Fernbeziehung über soziale Netzwerke wie Facebook in Kontakt bleiben. Auf der anderen Seite bietet es auch andere Möglichkeiten, den Partner zu hintergehen. Die hatte das Telefon aber auch schon. Das ist nicht neu, auch Parallelbeziehungen sind nicht neu. Das Internet bietet vielleicht eine einfachere Struktur, Nebenbeziehungen einzugehen. Aber auch dort passieren leicht Fehler – und wenn man entdeckt wird, ist das Ganze auf einmal umso öffentlicher.

Ist der Partner zurecht eifersüchtig, wenn er den anderen beim Cyberflirt erwischt?

Wenn das Gefühl der Eifersucht da ist, dann ist es zunächst einmal da. Ob zurecht, ist dann erst die nächste Frage. Wenn derjenige sich vom Cyberflirt des Partners bedroht fühlt, ist er zurecht eifersüchtig. Ich wäre eifersüchtig. Sie wahrscheinlich auch.

Wie verbreitet ist Cybersex auch innerhalb von Beziehungen?

Dazu gibt es keine Erhebungen.

Psychologin Dr. Christiane Eichenberg von der Universität Köln forscht zu sozialen Beziehungen im Internet.
Psychologin Dr. Christiane Eichenberg von der Universität Köln forscht zu sozialen Beziehungen im Internet.

Kann Cybersex den Körperkontakt verdrängen?

Ist es psychologisch ein Unterschied, ob ein Betrug in der echten oder der virtuellen Welt stattfindet?

Das ist ganz unterschiedlich. Realer Sex wird von den meisten als Treuebruch gesehen. Wenn aber über das Internet über längere Zeit Intimitäten ausgetauscht werden, kann das als genauso bedrohlich erlebt werden. Das löst dieselben Verzweiflungsgefühle bei den Betrogenen aus. Das ist ja auch kein Wunder: Menschen verlieben sich im Internet, ohne dass sie den Partner auf der anderen Seite der Tastatur jemals gesehen haben, und das fühlt sich genauso an wie die Verliebtheit zwischen zwei Menschen in der realen Welt.

Hat das Internet uns sexuell enthemmt?

Es bietet mehr Möglichkeiten zu experimentieren, es erlaubt, sich zu vernetzen und sexuelle Selbstaspekte zu akzeptieren. Egal für welchen Fetisch, Sie finden im Internet ein entsprechendes Forum. Wir haben mit vielen Homosexuellen gesprochen, die sagen, wenn es das Internet in ihrer Jugend gegeben hätte, hätten sie viel weniger Probleme mit Selbstzweifeln gehabt. Das Internet hat also auch durchaus positive Aspekte für Sexualität und Beziehungen.

Es sind Ganzkörperanzüge in der Entwicklung, die virtuelle Aktionen real fühlbar machen sollen. Könnte Cybersex irgendwann den echten verdrängen?

Das glaube ich nicht. Die Technik kann nicht diese Sinnlichkeit vermitteln, wie sie die Face-to-face-Aktion besitzt. Das ist ein Experiment, das sich nicht durchsetzen wird.