München. . Der möglicherweise letzte Tag des Prozesses gegen den mutmaßlichen KZ-Wächter John Demjanjuk hat begonnen. Am Donnerstag könnte vor dem Landgericht München II in Anwesenheit zahlreicher Nebenkläger ein Urteil fallen. Sicher ist dies allerdings nicht.
Im Prozess gegen den mutmaßlichen KZ-Wächter John Demjanjuk könnte es an diesem Donnerstag das Urteil geben. Der Prozess war in der Vergangenheit allerdings von zahlreichen Unterbrechungen geprägt. Als er im November 2009 begann, waren ursprünglich 41 Termine angesetzt. Am Donnerstag war bereits der 93. Verhandlungstag. Zu den Gründen für die lange Dauer zählen der Gesundheitszustand des greisen Angeklagten, der nur rund drei Stunden Verhandlung pro Tag zulässt, sowie eine Flut von Anträgen der Verteidigung, die diese teils tagelang verlas.
Zum Abschluss eines fünftägigen Plädoyers hatte die Verteidigung von Demjanjuk Freispruch gefordert. Zudem verlangte Anwalt Ulrich Busch am Mittwoch vor dem Landgericht München II die Haftentlassung seines Mandanten und eine Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft. Deutschland solle seinen Mandanten im Kreise seiner Familie in Ruhe sterben lassen. Die Anklage hatte sechs Jahre gefordert, Nebenkläger teilweise mehr.
Der 91-jährige Demjanjuk ist angeklagt, im Jahr 1943 im NS-Vernichtungslager im polnischen Sobibór Beihilfe zum Mord an mindestens 27.900 Menschen geleistet zu haben. Der Ukrainer war in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und wurde im Lager Trawniki zum Hilfswachmann ausgebildet. Diese ausländischen Helfer, im deutschen Jargon „Trawniki“ genannt, wurden dann unter anderem in Konzentrationslagern eingesetzt, um Menschen in die Gaskammern zu treiben. Umstritten war bis zuletzt, ob John Demjanjuk überhaupt als Hilfswachmann in Sobibór eingesetzt war – nur wenige Zeugen, die ihn dort gesehen haben können, haben bis heute überlebt.
Viele deutsche Täter ließ man laufen
Außerdem müssen die Richter mit einem unappetitlichen Widerspruch umgehen: Jahrzehnte lang hatte die Justiz der Bundesrepublik Milde walten lassen gegenüber deutschen Tätern des Holocaust – und jetzt wird das Verfahren gegen einen ausländischen Helfer trotz hohen Alters und schmaler Beweislage mit aller Konsequenz durchgezogen. Entsprechend hoch ist die Spannung, mit der jetzt das Urteil erwartet wird.
Es ist ein langer Prozess: Alleine das Plädoyer von Verteidiger Busch, das einen ganzen Aktenordner füllt, dauerte fast fünf Tage. Busch argumentierte, sein Mandant, der kleinste der Kleinen, sei nur ein Sündenbock. „Dieser Sündenbock soll im 91. Lebensjahr dafür bezahlen, dass Nachkriegsdeutschland die Bosse des Naziterrorismus nicht oder nicht hinreichend bestraft hat.“ Damit wolle die Justiz nun wiedergutmachen, dass hochrangige Nazis freigesprochen worden seien. Der Ausländer Demjanjuk solle am Ende für das Versagen der deutschen Justiz bezahlen. Deutschland mache sich schuldig, indem es diesen Prozess führe, sagte Busch. Das Ziel sei: „Auf Kosten dieses alten Mannes Deutschland von seiner Alleinschuld freizusprechen.“ Busch gab vor Gericht auch zu bedenken: „Eine Verurteilung wird John Demjanjuk nicht überleben.“
Verteidiger: Demjanjuk musste gehorchen
Busch verlangte ferner, dass man seinem Mandanten - falls er als Hilfswachmann in Sobibór eingesetzt worden sei - Befehlsnotstand zugutehalten müsse. Dies gelte für alle sogenannten Trawniki, schließlich seien sie und teilweise sogar ihre Angehörigen im Falle von Fluch oder Befehlsverweigerung vom Tode bedroht gewesen. Die meisten Fluchtversuche hätten tödlich geendet. (dapd)