Tokio. .

Mehr als 27.000 Tote und Vermisste: Diese Zahl haben die japanischen Behörden fast vier Wochen nach der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe bekannt gegeben. Speziell ausgerüstete Polizisten suchen in der verstrahlten Evakuierungszone in Fukushima nach Opfern. e.

Fast vier Wochen nach der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe in Japan geben die Behörden die Zahl der Toten und Vermissten mit mehr als 27.000 an. Bislang seien 12.608 Tote registriert worden, teilte die Polizei am Donnerstag mit, 15.073 Menschen gelten noch als vermisst. Zwischenzeitlich war von mehr als 28.000 Toten und Vermissten die Rede gewesen. Seit Beginn der Woche suchen den Angaben zufolge Polizisten in Schutzkleidung intensiv nach Opfern in der Evakuierungszone rund um das schwer beschädigte Atomkraftwerk Fukushima.

Hunderte Polizisten und Soldaten rückten am Donnerstag aus, um Leichname zu finden, bevor sie zur Unkenntlichkeit verwest sind. Vor allem in der Sperrzone um das havarierte Atomkraftwerk hatte radioaktive Strahlung die Suche bislang verzögert. Weil die Zeit allmählich knapp wird und die Strahlung aus dem Atomkraftwerk sich einigermaßen stabilisiert zu haben scheint, wurden die Bemühungen verstärkt, Tote zu bergen und zu identifizieren. "Wir müssen sie jetzt finden, weil die Leichen verwesen", erklärte Polizeisprecher Ryoichi Tsunoda in der Präfektur Fukushima. "Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit und gegen die Gefahr radioaktiver Strahlung."

Stickstoff soll Wasserstoff-Explosionen verhindern

Im Kernkraftwerk haben Arbeiter mit der Einspeisung von Stickstoff in den Reaktor 1 begonnen, um eine drohende Explosion zu verhindern. Seit Beginn der Einspeisung sei der Druck in dem Reaktorbehälter gestiegen, das Gas habe sich offenbar gut ausgebreitet, teilte der Betreiber Tokyo Electric Power (Tepco) am Donnerstag mit. 6000 Kubikmeter Stickstoff sollen innerhalb von sechs Tagen eingespeist werden: Der Stickstoff soll Sauerstoff verdrängen und so das Explosionsrisiko mindern.

Zu Beginn der Atomkatastrophe hatten Wasserstoffexplosionen in den Reaktoren eins und drei große Mengen Radioaktivität freigesetzt. Vier Wochen nach dem Erdbeben und dem Tsunami am 11. März hatte sich laut Tepco nun im Reaktor 1 sehr viel Wasserstoff angesammelt, so dass die Gefahr einer Explosion wie am 12. und 14. März in dem Kernkraftwerk an der japanischen Küste bestand. Nach Angaben eines Unternehmenssprecher plant Tepco, in den kommenden Wochen Stickstoff auch in die Reaktoren 2 und 3 zu pumpen.

Tepco-Sprecher bezeichnet Wahrscheinlichkeit einer Explosion als extrem gering

Die Aktion sei eine reine Vorsichtsmaßnahme, erklärte ein Sprecher am Donnerstag: Die Wahrscheinlichkeit weiterer Wasserstoffexplosionen sei „extrem gering“. Vorsichtig optimistisch äußerte sich auch Regierungssprecher Yukio Edano: „Daten zeigen, dass sich die Reaktoren stabilisiert haben, aber wir sind noch nicht über dem Berg.“

Das Verschließen eines Lecks an den Reaktorruinen mit Hilfe von Wasserglas scheint erfolgreich gewesen zu sein. Aus dem havarierten Atommeiler fließt seitdem kein hochradioaktives Wasser mehr ins Meer, die radioaktive Belastung im Pazifik soll gesunken sein.

Die US-amerikanische Atomaufsicht, die die japanischen Kollegen berät, hatte in einer Einschätzung warnend auf mehrere anhaltende Probleme hingewiesen. So verstopfe das Salz des zur Notkühlung benutzten Meerwassers vermutlich Leitungen, was die Stabilisierung der überhitzten Brennelemente erschwere. Zudem könne das Gewicht des in die Reaktoren gepumpten Wassers das Risiko erhöhen, dass die Druckbehälter bei einem Nachbeben reissen könnten. Die japanische Atomaufsicht (NISA) räumte am Donnerstag ein, dass die Behälter möglicherweise Schaden genommen haben könnten. "Wir wissen nicht, was mit den Druckbehältern passiert ist", sagte Sprecher Hidehiko Nishiyama.

In zehn Tagen erreicht nach Atomkatastrophe verladene Fracht aus Japan Europa

Die Bundesregierung berät sich am Donnerstag mit Vertretern der Wirtschaft über die ökonomischen Folgen der Atomkatastrophe in Japan. Im Mittelpunkt des Experten-Gesprächs im Wirtschaftsministerium stünden vor allem praktische Fragen des weiteren Umgangs mit Importen aus Japan, teilte das Ministerium mit. Unter anderem werde erörtert, wie die Kontrollen und Prüfungen vom Japan-Importen auf Strahlenbelastungen möglichst unbürokratisch ausgestaltet werden können.

Das Ministerium verwies darauf, dass es noch keine einheitliche Grenzwerte gibt. Daher werde sich Minister Rainer Brüderle (FDP) für möglichst EU-einheitliche Grenzwerte einsetzen. Die wichtigen Belange des Strahlenschutzes dürfte nicht zu einseitigen Belastungen für die deutsche Wirtschaft oder Wettbewerbsverzerrungen führen.

„In manchen Bereichen drängt bereits die Zeit“, sagte Brüderle. Schon in zehn Tagen werden nach seinen Worten die ersten Schiffe mit Fracht aus Japan, die nach der Atomkatastrophe verladen wurde, deutsche Häfen erreichen. „Gestützt auf die Einschätzungen der Europäischen Kommission und des Bundesumweltministeriums bin ich zuversichtlich, dass keine Schiffe mit relevanter Strahlenbelastung in deutschen Häfen eintreffen werden“, sagte er. Man müsse sich aber auf alle Eventualitäten vorbereiten.

Milliarden-Kredite für japanische Wirtschaft

Zur Unterstützung der von der Naturkatastrophe getroffenen japanischen Wirtschaft hat Japans Zentralbank ein Kreditprogramm für die Banken in der Region aufgelegt. Japans Wirtschaft stehe „vor allem auf der Produktionsseite unter starkem Druck“, begründete die Bank die Entscheidung. Das Programm mit einem Umfang von einer Billion Yen (rund 8,2 Milliarden Euro) bietet den Banken demnach billige Kredite über ein Jahr an.

Die Bank beließ den Leitzins zudem unverändert bei praktisch Null. Japans Wirtschaft steckte bereits vor der Katastrophe vom 11. März in der Krise, der Leitzins liegt daher bereits seit Monaten bei 0,0 bis 0,1 Prozent. Die Zentralbank pumpte nach den Naturkatastrophen zudem mehrere Billionen Yen in die Finanzmärkte des Landes.

Am 11. März hatte ein gewaltiges Beben der Stärke 9,0 den Nordosten Japans erschüttert. Kurz darauf traf ein Tsunami auf die Küste, der Autos, Schiffe und Häuser fortriss und ganze Städte zerstörte. Fast 160.000 Menschen sind nach wie vor in Notunterkünften untergebracht. (dapd/afp/rtr)