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Radioaktivität aus dem havarierten Kernkraftwerk in Fukushima setzt sich in der Nahrungskette fest, sagen Experten von Greenpeace und dem WWF. Gefährdet ist etwa der Alaska-Seelachs, der zurzeit noch nicht kontrolliert wird.
Mehr als elf Millionen Liter radioaktiv verseuchtes Wasser hat Japan in den vergangenen Tagen in den Pazifik gepumpt. „Der Grenzwert für Jod zum Beispiel soll vor der Küste Fukushimas um das Sieben-Millionenfache überschritten sein“, sagt Manfred Santen, Chemiker bei Greenpeace. So gigantisch die Zahl klingt – ihre Aussagekraft ist minimal. Messwerte für die weitaus gefährlicheren radioaktiven Schwermetalle Plutonium oder Strontium lägen zurzeit schlicht nicht vor.
„Seit Tschernobyl, seit den radioaktiven Einleitungen der Wiederaufbereitungsanlagen im französischen La Hague und dem englischen Sellafield wissen wir, dass sich Radionuklide in der marinen Nahrungskette anreichern“, erklärt WWF-Meeresexperte Stephan Lutter. Sie setzen sich in Plankton, Algen und Tang fest, gelangen über das Sediment und filtrierende Meerestiere wie Muscheln in die Nahrungskette. Offensichtliche Zeichen gebe es nicht: Es werde nicht zum plötzlichen Massenfischsterben kommen. „Die Lebensphase der meisten Meerestiere ist zu kurz, um Langzeitschäden wie zum Beispiel tödliche Tumore zu entwickeln“, so Lutter. Für langlebige Meeresbewohner wie Wale und Thunfische sei diese Gefahr hingegen ähnlich wie beim Menschen.
Arbeiten im Problem-Reaktor
Gefahr für den Alaska-Seelachs für den europäischen Markt
Ein weiterer Aspekt macht Tierschützern und Ernährungswissenschaftlern Sorge. Zwar verdünne sich in den Weiten der Ozeane die schädliche Konzentration. Die Küste vor Fukushima zähle mit ihren 1337 unterschiedlichen Tierarten zu den drei reichsten Fischgründen der Welt. Hier streicht der warme Kurushio-Strom, ähnlich dem Golfstrom im Atlantik, vorbei. „Er transportiert das radioaktiv belastete Wasser – wie ein Fluss im Meer – Richtung Kalifornien und in den russischen Teil der Beringsee“, erklären Lutter und Santen unisono.
Hier, im hohen Norden, liege ein bevorzugtes Fanggebiet der russischen und chinesischen Fischereiflotte, erläutert Santen. „Dort wird der Alaska-Seelachs auch für den europäischen Markt gefangen“, sagt er. Je nach radioaktiver Nachschub-Rate aus Fukushima könne der beliebte Speisefisch aus dem für den Verbraucher von der Welternährungsorganisation festgelegten Fanggebiet FAO61 in Zukunft hochbelastet sein. Momentan werde er allerdings, anders als die Direktimporte aus Japan, an den europäischen Grenzen nicht auf radioaktive Belastung kontrolliert.
„Es gibt keine ungefährlich niedrigen Dosen für die Strahlung im Körper“
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Apropos radioaktive Belastung: Die „Essensretter“ von Foodwatch kritisieren die seit Ende März erhöhten Grenzwerte für Nahrungsmittel aus Japan. „Wenn die EU vorsorgenden Gesundheitsschutz gewährleisten will, wäre ein Importstopp die effektivere Maßnahme“, schimpft Foodwatch-Chef Thilo Bode.
Denn: „Es gibt keine ungefährlich niedrigen Dosen für die Strahlung im Körper, auch wenn uns das Politiker immer wieder gebetsmühlenartig glauben machen wollen“, sagt Lutter. Jeder einzelne Strahler im Gewebe erhöhe, statistisch gesehen und auf die Bevölkerung bezogen, das langfristige Krebsrisiko.