Ras Lanuf. . Die internationalen Truppen setzen Gaddafi stark unter Druck, die Rebellen rücken vor. Jetzt übernimmt die Nato offiziell das Kommando über die libysche Flugverbotszone.
Die Nato übernimmt das vollständige Kommando über den Militäreinsatz in Libyen. Einem entsprechenden Operationsplan stimmten die Botschafter der 28 Bündnisstaaten am Sonntagabend in Brüssel zu, wie aus Diplomatenkreisen verlautete. Damit wird die NATO künftig auch die Luftangriffe zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung führen. Die Übernahme des Kommandos von der US-geführten Militärallianz könnte nach Angaben des Diplomaten voraussichtlich mehrere Tage dauern.
Wichtige Ölstädte in Rebellenhand
Die Nato hatte sich bereits am Freitag bereit erklärt, die Kontrolle der Flugverbotszone über Libyen und die Durchsetzung des UN-Waffenembargos zu übernehmen. Die Entscheidung über den Einsatz zum Schutz der Zivilbevölkerung wurde aber vertagt, um den Nato-Botschaftern Gelegenheit zu geben, noch einmal mit ihren jeweiligen Regierungen zu beraten.Mit internationaler Luftunterstützung treiben die libyschen Rebellen seit dem Wochenende die Truppen von Machthaber Muammar al Gaddafi nach Westen: Die Ölstädte Adschdabija und Brega wurden am Samstag und Sonntag erobert, nachdem alliierte Kampfjets schwere Waffen der Gaddafi-Truppen ausgeschaltet hatten.
Der britische Verteidigungsminister Liam Fox sagte der BBC, mit ihrem Vormarsch entlang der Mittelmeerküste nach Westen würden die Rebellen auch zunehmend die Exportpunkte für libysches Öl unter ihre Kontrolle bringen. „Das wird ein neues und ganz anderes Gleichgewicht in Libyen erzeugen“, sagte Fox. Die Rebellen stießen von Brega entlang der Mittelmeerstraße weiter nach Westen vor und erreichten nach eigenen Angaben Ras Lanuf mit seinen Raffinerie-Anlagen.
„Hier gibt es keine Gaddafi-Truppen mehr.“
Damit vergrößerten die bis vor einer Woche noch vor dem Fall ihrer Hochburg Bengasi stehenden Aufständischen das von ihnen kontrollierte Gebiet beträchtlich. Brega, die südlichste Hafenstadt des Mittelmeers, liegt im östlichen Drittel Libyens. Tripolis liegt weiter entlang der Mittelmeerstraße im Westen.
„Es gibt hier keine Gaddafi-Truppen mehr, die Rebellen haben Brega unter ihrer vollen Kontrolle“, sagte Rebellenkommandeur Ahmed Dschibril am Sonntag in Brega. Gaddafis Soldaten seien bereits am Samstagabend nach einem „kleinen Gefecht“ geflohen.
Ein 31-jähriger Freiwilliger der Rebellentruppe, Suleiman Ibrahim, sagte, Gaddafis Truppen hätten keinen Widerstand geleistet. „Sie verschwanden einfach. Ohne Nato wäre das nicht geschehen. Sie haben uns große Unterstützung gegeben“, sagte er zur Hilfe aus der Luft.
Gaddafi fühlt sich in Bürgerkrieg gedrängt
Die Rückeroberung des nordöstlich gelegenen Adschdabija am Samstag war der erste große Sieg der Rebellen in einem Konflikt, in dem bis zum Eingreifen der internationalen Koalition die Truppen Gaddafis schon auf der Siegerstraße schienen. Dies scheint sich mit der Schwächung von Gaddafis Streitkräften durch die internationalen Truppen nun umzukehren.
Gaddafis Regierung warf der Koalition Parteinahme für die Rebellen vor. Damit werde versucht, das nordafrikanische Land an den Rand eines Bürgerkriegs zu drängen, sagte der stellvertretende Außenminister Chaled Kaim in Tripolis. Mit direkten Angriffen auf Gaddafis Einheiten gingen die internationalen Truppen über das Mandat des UN-Sicherheitsrats hinaus, die Zivilbevölkerung zu schützen.
„Wir sind bei unserer Mission erfolgreich“
US-Präsident Barack Obama erklärte unterdessen in seiner wöchentlichen Rundfunk- und Internetansprache, das Militärbündnis sei bei der Durchsetzung der UN-Sicherheitsresolution erfolgreich. Die libysche Luftverteidigung sei ausgeschaltet und in Rebellenstädten seien die Einheiten Gaddafis zurückgeschlagen worden, sagte er in der noch vor der Meldung aus Adschdabija veröffentlichten Rede.
„Die Vereinigten Staaten sollen und können nicht bei jeder Krise in der Welt intervenieren“, sagte Obama. Da Gaddafi aber „ein Blutbad angedroht hat, das eine ganze Regierung destabilisieren kann, ist es in unserem nationalen Interesse, zu handeln - und es ist unsere Verantwortung. Das ist einer der Fälle“, sagte der US-Präsident.
Die zunächst von den USA geführte Allianz gegen Gaddafi hatte am 19. März mit Angriffen auf dessen Luftverteidigung und auf Städte wie Bengasi vorrückende Truppen begonnen. Am Montag will Obama seine Libyen-Politik in einer Rede an die Nation erläutern.
NATO soll Flugverbotszone überwachen
Die Überwachung der Flugverbotszone soll demnächst von der Nato koordiniert werden. Damit soll gemäß UN-Sicherheitsresolution verhindert werden, dass Gaddafi seine Luftwaffe und Truppen gegen sein eigenes Volk einsetzt.
Die libyschen Rebellen haben einen zweiten strategisch wichtigen Ölkomplex zurückerobert. Die Regimegegner brachten am Sonntag die Raffinerie-Anlagen von Ras Lanuf unter ihre Kontrolle und damit nach Brega einen weiteren wichtigen Exportpunkt für libysches Öl. In beiden Orten wurde ein großer Teil der libyschen Ölexporte in Höhe von 1,5 Millionen Barrel pro Tag produziert. Seit dem Beginn der Unruhen am 15. Februar wurde die Produktion praktisch eingestellt.
NATO will über Ausweitung der Luftangriffe debattieren
Im Osten von Ras Lanuf wurden bei Luftangriffen des internationalen Militärbündnisses offenbar drei leere Panzertransporter getroffen. Auch zwei Gebäude, bei denen es sich vermutlich um Schlafquartiere handelte, wurden beschädigt. „Es gab keinen Widerstand“, sagte ein 31-jähriger freiwilliger Rekrut. „Ohne die NATO hätte das nicht funktionieren können. Sie haben uns sehr unterstützt.“
In Brüssel wollte die Nato am (heutigen) Sonntag über eine Ausweitung des Lufteinsatzes in Libyen beraten. Es wurde erwartet, dass die Allianz die Führung über sämtliche Luftangriffe übernehmen wird. Eine entsprechende Entscheidung werde der Nato-Rat vermutlich noch am Abend oder am (morgigen) Montag fällen, hieß es aus informierten Kreisen.
Die Nato hatte sich bereits am Freitag bereit erklärt, die Kontrolle der Flugverbotszone über Libyen zu übernehmen. Die Entscheidung über die übrigen Militäreinsätze wurde jedoch vertagt, um den Botschaftern der 28 Bündnisstaaten Gelegenheit zu geben, noch einmal mit ihren jeweiligen Regierungen zu beraten.
Gaddafis Truppen verschleppen Frau während Interview
Unter den Augen internationaler Journalisten haben libysche Sicherheitskräfte eine Frau abgeführt, die Getreuen von Machthaber Muammar el Gaddafi Misshandlung und Vergewaltigung vorwarf. Sie kam am Wochenende in den Frühstücksraum eines vor allem von ausländischen Medienvertretern bewohnten Hotels in der Hauptstadt Tripolis und zeigte diesen Blutungen und Narben an ihren Oberschenkeln. Gleichzeitig sagte sie, Kämpfer Gaddafis hätten sie „mehrfach“ misshandelt und missbraucht.
Die Journalisten rief die Frau auf, über ihren Fall zu berichten: „Filmen Sie mich, filmen Sie mich. Zeigen Sie der Welt, was mir angetan wurde.“ Die aus der Rebellenhochburg Bengasi im Osten des Landes stammende Frau wurde nach eigenen Angaben an einem Kontrollpunkt in Tripolis von Gaddafi-Kämpfern aufgegriffen und zwei Tage lang festgehalten.
In dem Hotel stationierte Sicherheitskräfte beschlagnahmten und beschädigten während des Vorfalls am Samstagmorgen zunächst die Ausstattung mehrerer Journalisten, bevor sie die Frau abführten. Auf die Frage, wohin sie gebracht werde, antworteten sie zunächst nicht. „Ins Gefängnis“, rief die Frau, bevor sie in ein Auto gezwängt wurde. Später sagte ein Mitarbeiter des Sicherheitsdiensts, sie hätten die Frau in ein Krankenhaus gebracht. Regierungssprecher Mussa Ibrahim gab an, die Frau sei „nach ersten Erkenntnissen betrunken“ gewesen.
Libysche Machthaber wenden sich von Gaddafi ab
Nach dem Beginn der internationalen Angriffe auf Libyen wenden sich nach US-Angaben immer mehr Gefolgsleute von Machthaber Muammar el Gaddafi ab. Sie wisse von „zahlreichen Diplomaten und Armee-Oberen“, die „umschwenken, die Seiten wechseln oder desertieren, weil sie sehen, wie alles enden wird“, sagte US-Außenminister Hillary Clinton am Sonntag dem US-Fernsehsender CBS. Verteidigungsminister Robert Gates sagte dem Sender, wenn „Mitglieder des Regimes ins Wanken“ gerieten, dürften die Auswirkungen „nicht unterschätzt“ werden.
Gates gab zudem zu bedenken, dass sich die Lage in Libyen destabilisierend auf die Nachbarstaaten Tunesien und Ägypten auswirken und die dortigen Umstürze „in Gefahr bringen“ könne. Der seit mehr als einer Woche andauernde Einsatz der internationalen Truppen unter der Führung der USA, Frankreichs und Großbritanniens gegen Gaddafi sei daher richtig. (afp/rts/dapd)