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Wie reagieren die Menschen im Extremfall? Eher noch als die „Überlebensgene“ entscheidet der Glaube an uns selbst darüber, ob wir Katastrophen entkommen – und anderen Opfern helfen.
Stellen wir uns vor, Fukushima läge in Deutschland, 200 Kilometer vom Ruhrgebiet entfernt. Was würden Sie tun: Fliehen? Geschockt ausharren, hoffen? Oder helfen, sich opfern? So wie jene „tapferen Todgeweihten“ im Atom-Meiler?
Die japanische Kultur ist mit unserer nicht vergleichbar, wohl wahr. In Japan gilt die Gemeinschaft, der Staat, mehr als der Einzelne; die Selbstopferangriffe auf US-Schiffe im Zweiten Weltkrieg („Kamikaze“ genannt) sollen jedenfalls zum Teil freiwillig geschehen sein. Während hierzulande schon zivile Courage spätestens dort endet, wo Bahnhofspöbeleien beginnen. Andererseits ist gerade Japan bekannt als Land, dessen Menschen Abstand wahren – innerlich, denn äußerlich wird es oft eng. So beschreibt ein langjähriger Zeitungskorrespondent einen Verkehrsunfall, bei dem ein Mädchen blutend auf der Straße lag und keiner der Autofahrer ausstieg. Denn, so erfuhr er später: „Japaner meinen, dass sie sich nicht um jeden Fremden kümmern können.“
So fern ist uns Japan also vielleicht nicht. Dennoch scheint es uns nun als Heimat der Hilfsbereitschaft, Wunder des Wir. Aber womöglich würden auch wir im Angesicht der Katastrophe anders reagieren als gedacht?
Die psychologischen Faktoren im Extremfall untersucht der US-Journalist Ben Sherwood in seinem Buch „Wer überlebt?“ Zwar scheint es ein „Überlebensgen“ zu geben: Das 5-HTT-Gen reguliert den Serotoninspiegel; immerhin 32 Prozent aller Menschen tragen jene Variante in sich, die besonders belastbar macht. Den Übrigen aber sei versichert: Es ist vor allem die innere Einstellung, die über Leben und Tod entscheidet – nämlich der Glaube daran, das eigene Schicksal in der Hand zu haben.
Denn Erstarrung ist Sherwood zufolge das größte Problem. Ob beim Untergang der Estonia, im Hurrikan Katrina oder beim Anschlag auf das World Trade Center: Jene, die nichts taten, die nur auf die Rettungskräfte hofften – starben. Befragt man die Überlebenden schwerer Flugzeugabstürze, erzählen die meisten: dass sie sich gemerkt hätten, wo die Notausgänge sind, dass sie die Sicherheitshinweise studiert hätten – und dass die Stewardessen Ruhe ausgestrahlt hätten. Mit der Gabe der Besonnenheit rettete im Januar 2009 auch Pilot Chesley Sullenberger 155 Airbus-Passagiere: Indem er nach dem Ausfall beider Triebwerke die Landung auf dem Hudson wagte. „Ich habe nur meine Pflicht getan“, sagt er.
Was haben der „Held vom Hudson“ und die 70 „tapferen Todgeweihten“ von Fukushima gemein? Was macht einen Menschen zum Helden?
Schauen wir doch in die Helden-Datenbank. Die gibt es tatsächlich, bei der amerikanischen „Carnegie Hero Fund Commission“, die Medaillen an Heroen des Alltags vergibt. Die meisten: sind männlich, entstammen einem ländlichen Milieu und üben handwerkliche, oft risikobehaftete Berufe aus. Aber was ist ihre Motivation? Der Soziologe Samuel Oliner hat 400 Menschen befragt, die während des Holocaust Juden gerettet haben. Er stellte fest: Religiöse oder politische Überzeugungen spielten eine geringe Rolle. Die Retter aber hatten gemeinsam: ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern, die ihnen in ihrer Erziehung die Idee von Gleichheit und Gerechtigkeit mitgegeben hatten.
Idole verinnerlichen
In der Kindheit, glauben Psychologen, liegt der Schlüssel zum Heldentum. Hier entscheidet sich, ob wir in den Fluten eines Tsunami andere halten werden, ob wir nach Verschütteten suchen werden – ob wir gar dem Atom-Tod ins Auge sehen werden und uns für andere opfern. „Jedes Kind hat das Bedürfnis nach Vorbildern, mit denen es in der Fantasie verschmelzen kann – dann fühlt es sich stark“, sagt der Münchner Wolfgang Schmidbauer. In den USA gibt es Kurse für Kinder, in denen sie sich den Heldenmut ihrer Idole zu eigen machen sollen.
Denn echte Helden – können nicht anders. Ihr Selbstbild lässt es nicht zu. Alec Roslan rettete während des Holocaust zwei kleinen Jungen das Leben, mit allen Risiken für sich und seine Familie. Als die Journalisten es später so gar nicht glauben wollen, entgegnet er wütend: „Warum fragen Sie mich, weshalb ich das getan habe? Wollen Sie damit sagen, dass man auch anders reagieren kann?“ Es gibt Menschen, die riskieren lieber den eigenen Tod – als mit dem Wissen weiterzuleben, dass sie Hilfe unterlassen haben.