Berlin. . Bahnkunden müssen schon bald mit neuen Streiks der Lokführer rechnen. Die Gewerkschaft der Lokführer droht mit zügigen weiteren Protesten. Unterdessen schlägt der Fahrgastverband Pro Bahn eine Schlichterin vor: Margot Käßmann.
Nach dem ersten bundesweiten Streik im Personen- und Güterverkehr drohen die Lokführer mit einer Zuspitzung der Arbeitskämpfe. „Wir sind bestrebt, die Eskalation zügig voranzutreiben“, sagte der Berliner Bezirksvorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL, Frank Nachtigall, der Berliner Zeitung vom Freitag. Auch Gewerkschafts-Chef Claus Weselsky erklärte, „wir werden ohne lange zu warten die nächste Aktion planen.“ Diese werde auf jeden Fall länger dauern als die sechs Stunden, die am Donnerstag gestreikt worden sei. Die Gewerkschaft strebe deshalb schon bald eine weitere Aktion an, weil sie keine langwierige Auseinandersetzung wolle. „Eine elfmonatige Hängepartie, wie wir sie bei der Tarifauseinandersetzung 2007/2008 erleben mussten, wollen wir diesmal vermeiden.“ Ob der S-Bahn-Verkehr in der Hauptstadt Berlin auch bei einem nächsten Streik mit einbezogen werde, sei noch offen.
Im MDR sagte Weselsky jedoch, man sei mit Güterverkehrsunternehmen und Personaldienstleistern einen "Riesenschritt" nach vorn gekommen. "Ich kann klar und deutlich sagen, der Abschluss ist in Sicht", fügte er hinzu und stellte ein Ergebnis für kommenden Mittwoch in Aussicht. Die GDL steht parallel noch mit vier privaten Güterbahnen, die einige hundert Lokführer beschäftigen, in Verhandlungen über einen Flächentarifvertrag. Darauf bezog sich Weselsky offenbar.
Käßmann hätte Chancen bei der GDL
Inzwischen wurde durch den Fahrgastverband Pro Bahn Margot Käßmann, die ehemalige Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, als mögliche Schlichterin ins Gespräch gebracht. Sie hätte offenkundig Chancen, bei der GDL akzeptiert zu werden. "Sie wäre jedenfalls eine Alternative zu Peter Struck", sagt Olaf Schulz-Arimond, stellvertretender Vorsitzender der GDL in NRW. Zuvor hatte der frühere SPD-Politiker angeboten, war aber bei der GDL auf Ablehnung gestoßen.
Am Donnerstag hatten die Lokführer den Schienenverkehr in Deutschland zu großen Teilen lahmgelegt. Millionen Berufspendler warteten morgens zwischen 4.00 Uhr und 10.00 Uhr auf den Bahnsteigen. Zahlreiche Züge fielen aus oder kamen zu spät. Die GDL streikt für höhere Löhne und einen Flächentarifvertrag für alle 26.000 Lokführer im Nah-, Fern- und Güterverkehr. Die Verhandlungen mit der DB und privaten Konkurrenten scheiterten. Lediglich mit den privaten Güterbahnen wird noch gesprochen. Der Güterverkehr der DB beherrscht aber 75 Prozent des Marktes.
Bahnstreik in Essen
Arbeitgeberpräsident wirft Gewerkschaft Erpressung vor
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hat der Lokführergewerkschaft GDL im Tarifkonflikt der Bahn „erpresserisches“ Verhalten vorgeworden. Viele Branchen seien auf „Just-in-time-Lieferungen“ durch die Bahn angewiesen, sagte Hundt der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ (Freitagsausgabe). Sie benötigten Pünktlichkeit der Güterströme, weil sie über keine Puffer verfügten, sagte der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). „Je länger die Streiks dauern, desto schlimmer sind die Folgen für die Wirtschaft.“
In der „Berliner Zeitung“ forderte er, die Tarifeinheit in den Betrieben durchzusetzen. „Das aktuelle Verhalten der GDL zeigt, wie dringend erforderlich es ist, schnell zum Prinzip der Tarifeinheit zurückzukommen“, sagte Hundt. Die Politik müsse schleunigst eine gesetzliche Regelung auf den Weg bringen. Andernfalls „drohen uns laufend Streiks wie in den siebziger Jahren in Großbritannien“, sagte der BDA-Chef der „Berliner Zeitung“. Durch die Tarifeinheit soll erreicht werden, dass nur ein Tarifvertrag in einem Unternehmen gilt und damit längere Tarifkonflikte mit mehreren Gewerkschaften vermieden werden.
BDI mahnt Lokführer zur Vernunft
Werner Schnappauf, Hauptgeschäftsführer vom Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), hat am Freitag "an die Vernunft und das Verantwortungsbewusstsein der Lokführer" appelliert. "Die Streikfolgen sind nicht zu verantworten und unverhältnismäßig. Der Streik gefährdet Güterverkehr und Produktion zum Schaden der gesamten Volkswirtschaft", sagt Schnappauf. Er hält der GDL zudem vor, sie schade dem Vertrauen in den Verkehrsträger Schiene: "Die Logistikbranche trägt als drittgrößter Wirtschaftszweig in Deutschland maßgeblich zu Wohlstand und Wirtschaftswachstum bei."
In einer Urabstimmung hatten sich mehr als 90 Prozent der GDL-Mitglieder für einen unbefristeten Streik ausgesprochen. Die Gewerkschaft fordert von der Deutschen Bahn sowie deren sechs wichtigsten privaten Konkurrenten einen bundesweit gültigen Flächen-Tarifvertrag für Lokführer bei allen Unternehmen im Nah-, Fern- und Güterverkehr. Ziele sind ein einheitliches Mindesteinkommen auf dem Niveau des Marktführers Deutsche Bahn sowie weitere einheitliche Regelungen. Am Donnerstagmorgen hatten die Lokführer den Bahnverkehr mit einem sechsstündigen Streik zum Teil lahmgelegt. (Mi/WE; rtr/afp)