Essen. . Jeder fünfte Hausarzt in Nordrhein ist 60 Jahre oder älter. Auf dem Land drohen Engpässe. Ein Patient sollte nach Ansicht des Präsidenten der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, aber höchstens eine Stunde bis zum Arzt brauchen.

Im Gespräch mit DerWesten schlägt er vor, soziales Engagement bei der Zulassung zum Medizinstudium zu berücksichtigen. Dann wären auch mehr junge Leute bereit, Landärzte zu werden, so Hoppe.

Gibt es in NRW zu wenig Ärzte?

Jörg-Dietrich Hoppe: Ja. Am Niederrhein haben wir Krankenhäuser, die fast nur mit Ärzten aus den ehemaligen Ostblockländern besetzt werden können. Es fehlen auch einige Hausärzte. Die Städte sind nicht unterversorgt, aber das Land. In absehbarer Zeit wird das Problem noch weitaus größer, weil viele Hausärzte über 60 sind und bald in Rente gehen. Wir haben jetzt schon das Problem, dass die Praxen nicht übernommen werden.

Wie viele Ärzte fehlen in NRW?

Hoppe: Von den bundesweit 5500 offenen Arztstellen in den Kliniken entfallen allein auf Nordrhein-Westfalen 1500. Aber auch im niedergelassenen Bereich gibt es Besetzungsprobleme. Jeder fünfte Hausarzt in Nordrhein ist 60 Jahre oder älter. Da brauchen wir dringend Nachfolger.

Ist es für den Bürger zumutbar, dass er in einen anderen Stadtteil oder eine andere Stadt fahren muss, um zum Arzt zu kommen?

Hoppe: Es ist unzumutbar, wenn er zum Hausarzt will. Bei der spezialärztlichen Versorgung schon.

Welche Entfernung zu einem Arzt kann man dem Patienten maximal zumuten?

Hoppe: Das hängt - wie gesagt - davon ab, ob er zum Hausarzt will oder zu einem Spezialisten. Mehr als eine Stunde Fahrzeit darf es aber nicht sein.

Die Koalition will in ihrem Versorgungsgesetz Medizinern mehr Geld geben, um sie aufs Land zu locken. Ist das ein sinnvolles Mittel?

Hoppe: Es ist ein Mittel, aber dabei darf es nicht bleiben. Wir brauchen Strukturen, die von verschiedenen Ärzten getragen werden. Man könnte mehrere Mediziner aufs Land bitten, die sich die Arbeit teilen. Dabei müssten nicht alle vor Ort wohnen.

Die Union will einen Strukturfonds schaffen, aus dem weitere finanzielle Anreize an Landärzte gehen sollen. Ist das sinnvoll?

Zeichnet ein düsteres Bild für die Zukunft: Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe. Foto: dapd
Zeichnet ein düsteres Bild für die Zukunft: Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe. Foto: dapd © ddp/Jens Schlueter

Hoppe: Ich glaube nicht, dass wir die Probleme mit Hilfe eines Strukturfonds lösen. Wir müssen schon viel früher ansetzen. Wichtig ist, dass wir mehr Leute zum Medizinstudium zulassen, die ein hohes soziales Engagement mitbringen und nicht nur ein Einser-Abitur. So bekommen wir eher Studenten, die auch wirklich gerne Arzt werden und auf dem Land arbeiten. Bei den Einser-Abiturienten ist das nicht zwangsläufig der Fall.

Was halten Sie von einer Landarztquote?

Hoppe: Das ist nicht sinnvoll. Man kann nicht am Anfang seines Studiums gleich bestimmen, wo man einmal arbeiten will. Ich wollte auch einmal Landarzt werden. Aber in meiner Krankenhauszeit hat sich mein Wunsch geändert.

Wie kann man Ärzteüberschuss in Ballungsgebieten verringern?

Hoppe: Durch kleinräumigere Planungsbezirke könnte man eine bessere Verteilung erreichen.

Deswegen gibt es aber immer noch zu viele Praxen in einigen Gebieten. Sollte man diese aufkaufen und schließen?

Hoppe: Nein, das wächst sich aus.

Von welchem Zeitraum sprechen wir?

Hoppe: Von zehn bis 15 Jahren.

Also muss der Bund keine Maßnahmen gegen den Ärzteüberschuss treffen?

Hoppe: Ich würde keinen Zwang anwenden. Wir haben in Deutschland Niederlassungsfreiheit.

Zwang - wie bitte?

Hoppe: Ich meine rigorose Maßnahmen. Ich bin gegen Abschläge und Kürzungen für Ärzte in überversorgten Gebieten.

Die CDU wollte Zweibettzimmer in Krankenhäusern durchsetzen. Eine gute Idee?

Hoppe: Davon halte ich nichts. Wenn sich die Idee mit den Zweibettzimmern durchsetzte, würden Patienten auf den Fluren liegen. Ein Zweibettzimmer entspricht auch nicht dem Wunsch jedes Patienten. Wer etwa mit einem gebrochenen Bein ins Krankenhaus kommt, der liegt mitunter auch gerne im Mehrbettzimmer. Wenn man im Zweibettzimmer liegt und sich mit seinem Nachbarn nicht versteht, entstehen Spannungen, die im Drei- oder Vierbettzimmer neutralisiert werden können.

Das Zweibettzimmer kann also der Genesung schaden?

Hoppe: Wenn die beiden sich nicht vertragen und sich dauernd angiften, dann kann das der Genesung schaden.

Unions-Gesundheitsexperte Jens Spahn will die Zehn-Euro-Abgabe an Krankenhäuser für Patienten abschaffen, die im Drei- oder Vierbettzimmer liegen. Das soll die Kliniken animieren, auf Zweibettzimmer umzustellen.

Hoppe: Den Vorschlag halte ich für unvernünftig. Die zehn Euro werden bezahlt, weil man nicht zu Hause gepflegt werden muss und nicht weil sie ein Strafzoll sind. Wenn, dann sollte man die zehn Euro ganz abschaffen.

Sind Sie für die Abschaffung der Zehn-Euro-Zuzahlung?

Hoppe: Ich bin gegen Barzahlungen von Patienten, sowohl gegen Praxisgebühr als auch Krankenhauszuzahlung. Wenn Leute krank sind, dann sollen sie sich auf ihre Gesundheit konzentrieren und nicht darüber nachdenken, woher sie die zehn Euro nehmen.