London. . Thilo Sarrazin hat erneut für einen Eklat gesorgt. Dieses Mal bei einem Vortragsabend über „den Niedergang des Westens“ in London. Unterstützt hat ihn dabei ein weiterer streitbarer Geist: Henryk M. Broder.
Solche schrillen Töne sind selten in der britischen Hauptstadt: Die Autoren Thilo Sarrazin und Henryk M. Broder haben Montagabend an der renommierten Universität „London School of Economics“ für einen Eklat gesorgt. Mit einem Auftrittsverbot begann die Podiumsdiskussion, in Tumulten endete sie.
Dass im Hörsaal „Hongkong“ an diesem Abend kein strukturiertes Pro-Seminar stattfinden würde, war abzusehen. Sarrazin und Broder sollten hier ausgerechnet zur Zukunft Deutschlands und Europas sprechen – ein provokantes Duo, für das Kulturkritiker Hellmut Karasek und Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrates in Deutschland, kaum ein rhetorisches Gegengewicht sein würden. Doch die Kontroverse lief schon aus dem Ruder, bevor die Herren überhaupt Platz genommen hatten.
Broder verliert die Fassung
Vor dem Hörsaalgebäude protestierten einige Dutzend Demonstranten gegen Sarrazins Auftritt, was die Leitung der Universität zu einen ungewöhnlichen Schritt bewegte: Sie zitierte „Sicherheitsgründe“ und verbannte die Runde kurzerhand vom Campus. Redner, Publikum und Demonstranten zogen also ins benachbarte Nobelhotel „Waldorf Hilton“, wo Moderator Jan Fleischhauer sich über das Auftrittsverbot an der LSE wunderte: „Mit Rednern wie Gaddafi und dem Chefredakteur einer palästinensischen Zeitung, die den Holocaust leugnet, hat man dort nicht so große Bedenken gehabt.“ Broders Fassung zeigte da bereits erste Risse: Einen Demonstranten bezeichnet er bei einer Rangelei als „Doppel-Arschloch“; im Gegenzug beschimpft ein Student die Diskutanten auf der Bühne als „Faschisten“. Dann konnte die Veranstaltung beginnen - Titel des Abends: „Europas Zukunft: Niedergang des Westens?“
Anlass für eine erhellende Debatte hätte es allemal gegeben: Nach Angela Merkel hat auch Premier David Cameron den Multikulturalismus-Ansatz jüngst als gescheitert bezeichnet. „Wir brauchen weniger passive Toleranz und müssen unsere Werte aktiver vorleben“, so der Premier, „in Großbritannien sind verschiedene Kulturen vom Staat geradezu ermutigt worden, in einer Parallelwelt zu leben.“ Sarrazin nahm den Kurswechsel der Briten sogleich auch als Bestätigung seiner Thesen: „Nicht nur Deutschland, ganz Europa schafft sich ab.“
Broder kritisierte, dass man es beim Thema Integration den Grünen überlassen habe, die Regeln des Zusammenlebens zu definieren: „Dabei geht es in dieser verlogenen Debatte nicht um Einwanderung, sondern darum, dass wir unser Verhältnis zum Islam regeln müssen.“ Scharia-Aspekte in der englischen Gesetzgebung fände er schockierend: „Wenn islamische Kinder Gebetsräume in Schulen bekommen, dann können wir den Hindus ja auch den wunderschönen Brauch der Witwenverbrennung erlauben.“ Er sei jedenfalls auf die „neuen Zeiten“ gefasst – eine Burka habe er sich bereits zugelegt.
Forderungen nach Einreiseverbot
Als eine Studentin aufstand, um zu kritisieren, dass nur „alte, weiße Männer“ ohne Lösungen auf dem Podium säßen, gab Sarrazin ihr mit auf den Weg, seine Analyse „geistig mal nicht so einfach durchlaufen zu lassen“: „Erst wenn wir uns auf eine Analyse geeinigt haben, reden wir über Lösungen.“ Einer Studentin mit Migrationshintergrund, die schilderte, auf der Straße in Deutschland bespuckt worden zu sein, sagte Broder, sie möge aufhören, sich zu beklagen.
Sarrazin hielt sich überraschend zurück – vielleicht, weil der Radau auch für ihn zu viel war. Die englische Presse hatte am Morgen vor seinem Auftritt bereits Forderungen nach einem Einreiseverbot für den „anti-semitischen Banker“ auf die Tagesordnung gebracht. Ein mit seiner Vernunft fast verloren wirkender Kizilkaya merkte schließlich an, dass ein Land Minderheiten auch willkommen heißen müsse, um die Integration zu verbessern. Doch im Schlussgetöse ging das Argument fast unter - Broder setzte sein Wortgefecht mit Protestlern fort und warf ihnen gar ein „ungemäßigtes Doppel-Superarschloch“ hin. Wie die Briten als Verfechter der freien Meinungsäußerung den Abend bewerten, bleibt abzuwarten.