Essen. . Es hätte ein spannender Abend werden können: Eine Debatte mit Deutschlands umstrittenster Lehrerin, Ursula Sarrazin, über Disziplin und Strenge im Unterricht. Hätte. Dafür gab’s Ratespielchen mit Gina-Lisa Lohfink.
Ach – es hätte so ein Kracherthema sein können für eine politische Talkshow: Unter dem Titel „Dichter, Denker, Dumpfbacken: Deutschland setzen, 6!“ war Ursula Sarrazin zu Maischberger eingeladen. Deutschlands derzeit umstrittenste Lehrerin sollte unter anderem mit einem punkigen Schuldirektor (mit grünen Haaren) ihre Thesen über Disziplin und allzu kuschelige Pädagogen diskutieren. Ein ernstes, wichtiges, abendfüllendes Thema, sollte man meinen.
Doch Sandra Maischberger vertändelte die erste halbe Stunde ihrer öffentlich-rechtlichen Sendezeit erst einmal mit einem albernen Wissensquiz zwischen den Moderatoren Jörg Pilawa (ZDF), Ranga Yogeshwar (ARD), dem Wuppertaler Professor Eckhard Heise, der einst den Hauptgewinn bei „Wer wird Millionär“ gewonnen hat, und Gina-Lisa Lohfink („Zack die Bohne“), die seit ihrer Teilnahme bei „Germany’s next Top Model“ auf Bildung pfeift. Der Einstieg wirkte wie die ewig missglückenden didaktischen Spielchen, die viele Referendare in früheren Zeiten von der Uni mitbrachten, um eine Klasse in ihrer ersten Stunde für sich zu gewinnen.
Ursula Sarrazin wirkt nur halb so verbissen wie ihr Mann
Dabei hätte man in dieser Zeit soviel schon diskutieren können – was dann allenfalls nur angetippt wurde. Das wichtigste vorweg: Ursula Sarrazin wirkt nur halb so verbissen wie ihr Mann oder wie die vielen Schlagzeilen über sie derzeit glauben machen wollen. Sie forderte weder die Wiedereinführung der Prügelstrafe, noch die Rückkehr zum Kasernenhof-Drill der wilhelminischen Ära, sondern berichtete sehr sachlich über ihren Eindruck, dass Schulkinder heutzutage vielfach unterfordert würden aus Furcht, sie oder ihre Eltern zu frustrieren. Leistungsdruck werde vermieden, dadurch sinke auch das Niveau und der Umfang des vermittelten Wissens. Das sei unter anderem auf die pädagogischen Einflüsse der Nach-68er zurückzuführen.
Dass Frau Sarrazin durchaus positiven elterlichen Zuspruch erfährt, lässt darauf schließen dass sie mit ihren Bedenken nicht alleine da steht. Das schärfste, wozu sie sich dann noch hinreißen ließ, war die Aussage, dass man Schüler, die permanent den Unterricht stören und die übrige Klasse am Arbeiten hindern, auch mal vor die Tür schicken muss. Und ja, sie ist auch schon mal laut geworden, um den Geräuschpegel dauerschnatternder Kinder zu senken.
„Alle Kinder sind grundsätzlich lernwillig“
Aber selbst in dieser weichgespülten Runde kamen die unterschiedlichen pädagogischen Denkansätze in der Debatte zum Tragen: Besagter Punk und Direktor einer Lübecker Grund- und Realschule, Matthias Isecke-Vogelsang, betonte, auch er habe schon Schüler angeschrien, aber im Prinzip versuche er immer herauszufinden, warum ein Schüler permanent stört. Denn eigentlich seien alle Kinder grundsätzlich lernwillig. Und Ranga Yogeshwar assistierte: Schule dürfe kein Ort der Verletzung sein, dürfe keine zu engen Raster der Disziplin und der Lernvorgaben setzen. Und er forderte durch die Hintertür das alte 68er-Ideal der freien Selbstentfaltung ein, wie es an den Reformschulen wie Summerhill gelehrt wurde.
Es geht also bei dieser Debatte – wie in allen ideologisch befrachteten Auseinandersetzungen - letztlich ums Menschenbild. Entweder glaubt man daran, dass alle Menschen vernunftbegabt und also lernwillig sind – dann muss man Bildung nur anbieten zur freien Selbstentfaltung. Und die gegenteilige These geht davon aus, dass der Mensch nie nur aus sich selbst schöpft, sondern in Bequemlichkeit und Nichtwissen verharrt, wenn es keine äußere Anleitung, kein hartes Training und keinen gewissen Druck gibt. Für diese These sprechen immerhin die empirisch zementierten Merksprüche, wonach nur selten ein Meister vom Himmel fällt und die Wiederholung die Mutter des Erfolges ist.
Harte Erziehung ist anstrengend für die Eltern
Befeuert wird diese Debatte derzeit vom Buch der chinesisch-amerikanischen Tiger-Mutter Amy Chua, die westlichen Eltern ebenfalls vorwirft, von ihren Kindern zu wenig zu verlangen. Sie plädiert für heftigen häuslichen Wissens-Drill. Ihr Argument: Weil sie ihre beiden Töchter liebt, wolle sie ihnen die besten Startvoraussetzungen fürs Leben mitgeben. Das ist anstrengend für die Kinder – und für die Eltern. Denn es bedeutet auch, dass man sich intensiv mit der Förderung seiner Brut befasst. Hinter der Chiffre der „Selbstentfaltung“, die es schon richten wird, würde demnach auch ein gutes Stück Bequemlichkeit der Eltern stecken. Eine durchaus streitbare These, über die es sich zu diskutieren gelohnt hätte. Etwa über die Selbstverwirklichung von Vätern und Müttern, die häufig die familiären Pflichten überwiegt, mangelnde elterliche Empathie gegenüber ihren Kindern bei gleichzeitiger Zunahme der Diagnose ADHS, über soziale Verwahrlosung auch in gutsituierten Haushalten. Aber weder genügte Maischbergers allzu harmloser Gästekreis, noch die verbliebene Zeit der Anforderung, das zu leisten.