Essen. . Die Piratenpartei in NRW stehen vor einem handfesten Finanzskandal. Ein aktueller Prüfbericht, der der WAZ vorliegt, offenbart totales Chaos beim Umgang mit Mitgliederzahlen, Beiträgen, Spenden und Spesen. Für die Piraten kann das teuer werden.
Der Piratenpartei droht nach Recherchen der WAZ ein handfester Finanzskandal, der die Zukunft der jungen Organisation gefährden kann. Die Spur führt zu finanzielle Ungereimtheiten in der Kasse des – bundesweit zweitgrößten – Landesverbandes NRW. Dort fehlt Geld und dazu passend auch noch die notwendigen Unterlagen, die für die Buchführung einer Partei notwendig sind. Das ergab eine Prüfung der Geschäftsjahre 2007-2010; der entsprechende Bericht liegt der WAZ-Mediengruppe vor. Das Chaos in der Buchführung kann teuer für die Piraten werden. Einbußen in sechsstelliger Höhe drohen. Dazu Rückforderungen aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Die jungen Strukturen des Landesverbandes drohen auszutrocknen.
Ungeachtet der Fakten ist der Fall für den neuen NRW-Piratenboss Michele Marsching „kein Skandal“. Das ist seine Meinung. Man könnte den Bericht der Kassenprüfer aber auch anders interpretieren. Denn darin werden „Versäumnisse und Unregelmäßigkeiten“ offengelegt. Das elfseitige Papier offenbart einen ebenso sorglosen wie ordnungswidrigen Umgang mit Mitgliedern, Beiträgen, Spenden und Spesen.
„Mitgliedsbeiträge und Spenden nicht korrekt verbucht“
Gewöhnungsbedürftig schon die Tatsache, dass es der erste offizielle Blick auf den Piratenschatz war – viereinhalb Jahre nach Gründung des Landesverbandes. Schon stichprobenartige Untersuchungen der „Zahlen des Jahres 2007 und 2008 erbrachten erste Zweifel“ bei den Prüfern. Sie entdeckten „Abweichungen zwischen der Ist- und Soll-Mitgliederanzahl“. Verblüffend: Acht Monate lang wickelten die NRW-Piraten alle finanziellen Transaktionen ohne ein eigenes Bankkonto ab, „vermutlich über das Bundeskonto“, mutmaßen die Prüfer. Entsprechend schief ist die Kassenlage. „Fast die Hälfte der Mitgliedsbeiträge 2009 standen in 2010 noch aus“ – geschätzter Verlust für die Landespartei: 18 000 bis 20 000 Euro.
Eine weitere Beanstandung könnte die Piraten noch deutlich mehr kosten. „Einige Mitgliedsbeiträge und Spenden wurden nicht korrekt verbucht“, notierten die Kassenprüfer. Dies könne eine „negative Auswirkung“ auf die staatliche Parteienfinanzierung haben. Fürwahr. Denn die Partei hatte bei ihrem Landtagswahldebüt 2010 nicht nur einen Achtungserfolg erzielt, sondern in der Folge auch beachtlich abkassiert. 1,5 Prozent der Stimmen enterten die NRW-Piraten. Der Lohn: Bis Ende 2011 fließen aus dem Landeshaushalt aktuell 120 000 Euro in die Parteikasse. Jedes folgende Jahr mehrt sich die Piratenbeute in ähnlicher Größenordnung. Insgesamt steht für den Landesverband mehr als 400000 Euro auf dem Spiel. Bei Verstößen gegen das Parteienfinanzierungsgesetz wäre eine Rückzahlung ans Land unvermeidbar. Die Strukuren der Partei wären existenziell gefährdet.
Piraten könnten unwählbar werden
Das kann für die junge Partei Auswirkungen weit über NRW hinaus haben. Der Erfolg bei der Landtagswahl NRW galt unter Piraten als gelungener Probelauf für das Superwahljahr 2011. Scheitern die Piraten nun hier, könnten sie in den anderen Ländern unwählbar werden.
Landeschef Marsching war angesichts der Ungereimtheiten „der Gedanke an einen Skandal“ gekommen. Jetzt spricht er aber von einem „Lernprozess“ innerhalb der jungen Partei, die von ihren Wahlerfolgen und dem Zulauf an Mitgliedern überrannt worden sei. „Manche Strukturen hinken noch weit hinterher“, gesteht er. Die Art der beanstandeten Buchführung nennt Masching „Schuhkarton-Wirtschaft“. Aber: „Grob fahrlässig ist das nicht.“
Viele der 170 Mitglieder, die zum Landesparteitag nach Gelsenkirchen kamen, sahen das ganz anders. Außer Gründungsschatzmeister Ulrich Schumacher sei auch dessen Nachfolger Dennis Westermann unter Beschuss geraten, bestätigt Marsching.. „Sie sind angegangen worden.“ Schließlich gelte auch unter Piraten: „Beim Geld hört die Freundschaft auf.“ Bereits am vergangenen Sonntag versagte der Landesparteitag dem Ex-Schatzmeister Schumacher die Entlastung.