Essen. . Für seine Wut-Rede über den Umgang mit Sex-Tätern erntet Til Schweiger von Opferorganisationen Beifall. „Der Täter bekommt seine Therapie bezahlt, die Opfer und ihre Angehörigen müssen um jeden Cent kämpfen“, klagt auch der Vater eines Mordopfers.
Til Schweiger hat durch seinen wütenden Ausbruch in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz eine Debatte neu befeuert, die schon lange schwelt. „Deutschland ist eine Tätergesellschaft“, klagte der Schauspieler, selbst Vater von vier Kindern. Alles konzentriere sich auf die Täter, niemand gehe mit dem Opfer um. „Das ist deutsches Gutmenschentum, das mich ankotzt“, schimpfte Schweiger.
Seine Wut können die Mitarbeiter der Beratungsstelle „Wildwasser“ in Bochum gut verstehen. Sie betreuen Mädchen und Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind. „Herr Schweigers Reaktion ist toll“, sagt eine Beraterin. „Deutschland ist eine Tätergesellschaft, da braucht man sich nur die Gesetzgebung anzuschauen. Da liegt Vieles im Argen.“ Es beginne damit, dass das Opfer ein Glaubwürdigkeitsgutachten vorlegen müsse. „Das ist eine Demütigung für die Betroffenen.“ Diese hätten oftmals ihre Gefühle abgespalten, sodass sie häufig durch das Raster des Gutachters fallen würden. Zudem müssten die Opfer eine detaillierte Beschreibung der Tat ablieferen und diese zeitlich eingrenzen. Das sei vor allem für Frauen mit geistigem Handicap oftmals nicht möglich. „Die können sich eine Anzeige gleich sparen“, sagt die Beraterin.
„In unserem Land wird deutlich mehr für die Täter als für die Opfer getan“, bestätigt Helmut K. Rüster, Sprecher der Opferschutz-Organisation „Weißer Ring“. Die Resozialisierung des Straftäters sei als klares Ziel vorgegeben. Das Opfer sei dagegen komplett auf sich allein gestellt. „Vor allem die psychischen Schäden werden kaum gewürdigt“, sagt Rüster. Dabei sei es enorm wichtig, dass den Betroffenen so schnell wie möglich geholfen werde, damit sich die Probleme nicht verfestigen. Die psychologische Betreuung müsste dringend ausgebaut werden, fordert der Weiße Ring.
„Opfer und Angehörige müssen um jeden Cent kämpfen“
Auch Bernhard Karl vom Verein „Opfer gegen Gewalt“ stimmt Til Schweiger ohne Zögern zu. Der Täter bekomme seine Therapie automatisch bezahlt, die Opfer und ihre Angehörigen müssten dagegen um jeden Cent für eine Behandlung kämpfen. „Ist ja klar, warum: Die können nicht gefährlich werden“, sagt Karl und lacht bitter. Der Münchner hat vor 16 Jahren seine Tochter verloren. Die 18-jährige Stephanie wurde auf offener Straße erwürgt - von einem Mann, der mehrfach wegen Vergewaltigung angezeigt, aber nicht verurteilt worden war. Die Eltern gründeten kurze Zeit später eine Opferschutzorganisation, die inzwischen Betroffene in ganz Deutschland betreut.
Sie haben dutzendfach erlebt, was grausame Verbrechen mit den Menschen machen. „Die Welt bleibt plötzlich stehen. Sie können sich um nichts mehr kümmern, nicht einmal mehr essen“, beschreibt Karl den Schockzustand nach der Tat. Viele Opfer und Angehörige werden krank und verlieren ihren Job. Sie seien oft jahrelang nicht mehr arbeitsfähig und lebten am Existenzminimum, so Karl. Beim Täter sei meistens nichts zu holen. Die Folge: Die Betroffenen würden im Kosten-Gezerre zwischen Krankenkassen und Versorgungsämtern aufgerieben. „Da kommt man sich wie ein Bettler vor“, klagt Karl.
Bis zu 15 Jahre auf Entschädigung gewartet
Das ist auch die Erfahrung des Weißen Rings. Die meisten Opfer wüssten noch nicht einmal, dass ihnen laut Opferentschädigungsgesetz etwas zustünde, sagt Rüster. Lediglich rund zehn Prozent der Betroffenen stellen einen Antrag. Die Opferschutz-Organisation verlangt daher, dass Kriminalitätsopfer schon bei der Anzeigen-Aufnahme bei der Polizei über ihre Ansprüche aufgeklärt werden. Doch selbst dann liege vor ihnen noch ein juristisches Tauziehen. „Sie müssen nachweisen, dass sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen und tätlichen Angriffs geworden sind“, sagt Rüster. Dem Weißen Ring würden Fälle vorliegen, wo Opfer schwerer Straftaten bis zu 15 Jahre auf eine Entscheidung über die Entschädigung warten mussten.
Verbesserung habe es dagegen im Strafrecht gegeben, sagt Rüster. „Der Straftäter hat schon seit langem Anspruch auf einen Pflichtverteidiger, der vom Gemeinwesen bezahlt wird.“ Das Opfer stand dagegen ohne Schutz da. Vor Gericht sei es wie ein Beweisstück behandelt worden. Erst seit 2004 sei es möglich, bei Sexualdelikten und versuchter Tötung einen Opferanwalt zu nehmen, der ebenfalls bezahlt werde. Mit der Zeit wurde dieser Anspruch auch auf die Hinterbliebenen und andere schwere Straftaten ausgeweitet.
„Wenn der Mörder deines Kindes entlassen wird, ist das ein Schlag ins Gesicht“
Doch die Verfahren dauerten viel zu lange, im Schnitt zwischen fünf bis sechs Jahren bis zum Urteil, klagt Karl. Das sei für die Opfer eine unendliche Zumutung. Auch die Entlassung eines gefährlichen Straftäters sei für Angehörige kaum nachvollziehbar. „Wenn der Mörder deines Kindes nach zwölf Jahren wieder entlassen wird, ist das ein Schlag ins Gesicht“, sagt Karl.
Von einer Meldepflicht für Sexualstraftäter, wie sie Schweiger bei Lanz gefordert hat, hält Karl jedoch nichts. „Da kann es immer wieder zu Verwechslungen kommen“, sagt er. „Auch besteht die Gefahr, dass die Täter in den Untergrund getrieben werden.“ Und an eine Sache glaubt der Vater eines Mordopfers trotz allem: an die Möglichkeit, dass ein Täter sich vielleicht wieder in die Gesellschaft eingliedern könnte. „Und daran ist nicht mehr zu denken, wenn er erst einmal im Internet am Pranger steht.“