Essen. Der 46-jährige Manager Utz Claassen fordert von seinem früheren Arbeitgeber, dem EnBW-Konzern, fast 400.000 Euro pro Jahr als „Übergangsgeld" bis ins Rentenalter. Gleichzeitig zieht er über die Gier mancher Manager her.

Utz Claassen (46) geht hart mit den Managern ins Gericht. Gleichzeitig verklagt er seinen Ex-Arbeitgeber EnBW auf die Zahlung von 400 000 Euro pro Jahr bis ins Rentenalter, obwohl er längst nicht mehr für den Energiekonzern tätig ist.

Lassen Sie uns über Geld reden. Was ist Gier?

Claassen: Gierig ist derjenige, der um des finanziellen Vorteils willen Entscheidungen trifft, die er sonst nicht treffen würde. Für mich ist ein Manager, der überragende Leistungen bringt, viele Jobs schafft und zehn Millionen Euro im Jahr verdient, nicht gierig. Gierig ist aber ein Manager, der bewusst eine falsche Entscheidung trifft, um einen Bonus von 200 000 Euro zu erhalten.

Gibt es nicht nur sittenwidrig niedrige, sondern auch sittenwidrig hohe Löhne?

Claassen: Eine Vergütung kann unter drei Bedingungen sittenwidrig hoch sein: Wenn sie zu Lasten Dritter geht, wenn sie ohne vertragliche Grundlage ist und wenn der Vergütung keine Leistung gegenübersteht. Ansonsten kann ein Gehalt nicht sittenwidrig hoch sein. Die Gesellschaft kann es als sozial ungerecht empfinden. Doch dafür gibt es ein Korrektur-Instrument: die Steuerpolitik.

In Ihrem Buch „Wir Geisterfahrer" gehen Sie mit der Elite dieses Landes ins Gericht. Finden Sie, Angriff ist die beste Verteidigung?

Claassen: Wogegen sollte ich mich zu verteidigen haben? Ich sorge mich um die Zukunft unserer Kinder, denen wir gigantische Schuldenberge hinterlassen. Weder Bankvorstände noch Politiker überschauen offenbar zum Teil die Risiken, die sie eingehen. Es ist absurd, dass der Staat Hunderte von Milliarden an Garantien sowie Staatshilfen und damit Risiko für den Steuerzahler in Banken pumpt, damit diese nicht Pleite gehen, und das mit ihrer angeblichen „Systemrelevanz" begründet, ohne diese klar zu definieren. Die Finanzmarktkrise hat geschafft, was die Rote Armee Fraktion nicht erreicht hat: Der Staat hat sich erpressbar gemacht.

Wollen Sie behaupten, die Finanzkrise ist für den Staat gefährlicher als die RAF?

Claassen: Keineswegs. Wir dürfen Banker niemals mit Terroristen vergleichen. Die RAF hat unseren Staat und unser Gemeinwesen als Ganzes bedroht, und das mit brutalster Gewalt. Aber die Folgekosten der aktuellen Krisenbekämpfung werden uns noch viel länger beschäftigen als die RAF.

Sie verklagen Ihren Ex-Arbeitgeber EnBW, weil Sie weiterhin ein „Übergangsgeld" in Höhe von knapp 400 000 Euro jährlich bis zum 63. Lebensjahr verlangen. Ist das Gier?

Claassen: Nein, hier geht es um Vertrauen und Vertragstreue. Unter meiner Verantwortung ist bei EnBW im Übrigen eine Wertsteigerung von acht Milliarden Euro entstanden. Das, was ich an jährlichem Ruhegehaltsanspruch habe, entspricht 0,005 Prozent dieses Betrages.

EnBW hat die Zahlungen eingestellt und verweist auf Ihre Einkünfte als Berater. Sie sagen, dies sei laut Vertrag kein anrechnungsfähiges „Gehalt", sondern ein „Honorar". Ist das nicht spitzfindig?

Claassen: Nein, Gehalt und Honorar sind völlig unterschiedliche Dinge. Ich beziehe keine anrechnungspflichtigen Einkünfte. Was in Verträgen steht, muss eingehalten werden. Im Übrigen hatten andere EnBW-Vorstände eine identische Anrechnungsklausel.

Sie sagten vorhin, sittenwidrig sei ein Lohn, wenn er zu Lasten Dritter gehe oder keine Leistung zugrunde liege. Legen Sie für sich selbst andere Maßstäbe an?

Claassen: Keinesfalls. Die EnBW hat mich aus einem langjährig laufenden Dienstvertrag abgeworben. Um aus diesem Vertrag herauszukommen, musste ich auch auf Ruhegehaltsansprüche verzichten. Und mit acht Milliarden Euro Wertsteigerung haben die Aktionäre der EnBW von meiner Leistung sehr wohl profitiert. Was würde denn der normale EnBW-Mitarbeiter sagen, wenn das Unternehmen sein Gehalt nicht mehr zahlte?

Er hätte wohl auch gerne eine Garantierente bis zum 63. Lebensjahr.

Claassen: Ich hatte bei meinem vorherigen Unternehmen faktisch eine Lebenszeitstellung. Der EnBW-Mitarbeiter, der sich woanders in einer ähnlichen Situation befunden hätte, würde auch die Einhaltung seiner vertraglichen Rechte verlangen. Wäre ich für das Verfahren nicht sehr zuversichtlich, dann würde ich diesen Weg nicht gehen.