Düsseldorf: . Überraschende Kehrtwende in NRW: Das Verfassungsgericht hat der Landesregierung in einem Entscheid neue Schulden verboten. Dank steigender Einnahmen werden nun die Vorgaben erfüllt und sogar 900 Millionen Euro gespart. Die Opposition im Landtag tobt.
Im Rechtsstreit um den Nachtragshaushalt 2010 will die rot-grüne Landesregierung die Verschuldung nun doch geringer halten. Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) kündigte am Dienstag in Düsseldorf an, dass die Kreditaufnahme von eigentlich 8,4 Milliarden Euro nun doch deutlicher niedriger ausfallen werde. Die FDP reagierte empört.
Aufgrund steigender Steuereinnahmen und sinkender Ausgaben könne die Nettoneuverschuldung um 1,3 Milliarden Euro auf 7,1 Milliarden Euro gesenkt werden, sagte der Finanzminister in Düsseldorf. Das NRW-Verfassungsgericht hatte der Landesregierung verboten, neue Schulden aufzunehmen.
Röttgen fordert Entlassung von Finanzminister
Kaum hatte der Finanzminister am Dienstag die wundersame Geldvermehrung im Haushalt 2010 verkündet, da schlug die Opposition zu. „Haushaltspolitik wie in einer Bananenrepublik“, tobte die FDP. CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann sieht „das Vertrauen in den Finanzminister erschüttert. Seriöse Politik sieht anders aus.“ Der nordrhein-westfälische CDU-Landeschef und Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat die sofortige Entlassung von NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans gefordert. Der SPD-Politiker sei „nicht ernst zu nehmen“, sagte Röttgen der „Bild“-Zeitung (Mittwochausgabe).
„Mit der bekannten Mischung aus Überheblichkeit und Unfähigkeit versucht der Finanzminister erneut, auf plumpe Weise die Bürger, das Parlament und den Verfassungsgerichtshof zu täuschen“, monierte Röttgen. Zuerst habe Walter-Borjans die hohe Neuverschuldung als „alternativlos“ dargestellt, dann sei es „gar kein Problem“ gewesen, auf Anordnung des Verfassungsgerichts von den Kreditermächtigungen im Haushalt keinen Gebrauch zu machen. Und nun finde der Finanzminister plötzlich neues Geld im Haushalt. Dies sei nicht ernst zu nehmen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) müsse ihren Finanzminister daher „unverzüglich“ entlassen.
355 Millionen Euro mehr Rücklagen
Nur wenige Tage nach dem “Blitz aus Münster“ mit der Einstweiligen Anordnung gegen den Nachtragshaushalt 2010 der Regierung Kraft hatte der oberste Kassenwart Walter-Borjans einen unerwarteten Geldsegen entdeckt. Plötzlich hat NRW 960 Millionen Euro weniger ausgegeben und 355 Millionen Euro mehr Steuern kassiert. Walter-Borjans überraschende Botschaft: Zur Aufstockung der Rücklagen für die angeschlagene WestLB müssten nun rechnerisch keine Kredite aufgenommen werden.
In Regierungskreisen wurde der Verdacht zurückgewiesen, der Minister habe aus Angst vor neuem Groll des Verfassungsgerichts in Münster ein Friedensangebot gemacht. Laumann sieht das anders: „Walter-Borjans spielt mit dem Gericht Katz und Maus.“ Schließlich hatten die Richter der rot-grünen Koalition die Aufnahme von 1,8 Milliarden Euro neuer Kredite vorerst untersagt. 1,3 Milliarden Euro auf Pump wollte Rot-Grün als Rücklage für Risiken der WestLB in einen „Sparstrumpf“ stecken. Zufall oder nicht? Eben diese Summe nimmt Rot-Grün nun nicht mehr als Kredit auf. Dubios: Wo die eingesparte Milliarde im Haushalt herkommt, konnte Walter-Borjans nicht erklären.
FDP wirft Koalition Kopflosigkeit vor
FDP-Fraktionschef Gerhard Papke warf dem Minister vor, der habe entweder völlig den Überblick über die Finanzen verloren oder den Landtag getäuscht. „In der Koalition herrscht blanke Panik. Eine solche Kopflosigkeit habe ich noch nicht erlebt“, klagte Papke.
Nach dem Rückzieher des Finanzministers soll die Neuverschuldung 2010 von 8,4 auf 7,1 Milliarden Euro sinken. Aus Sicht von CDU und FDP muss sogar auf 5,8 Milliarden Euro gesenkt werden, falls das Verfassungsgericht die Klage der Opposition befürwortet und die Rücklage untersagt. Ohne einen Finanzpuffer für die WestLB fürchtet Walter-Borjans angesichts der Bankenrisiken aber „Meteoriteneinschläge“.
Der Minister behauptet, sein Haus sei erst in den letzten Tagen auf die sprudelnden Geldquellen gestoßen. Die Vorlage des Haushalts 2011 hat die Koalition erst einmal bis zum Urteil gestoppt. Im Fall der Fälle kündigte Walter-Borjans ein Durchforsten des Entwurfs „ohne Tabus“ an. Dann soll eine „Task-Force“ alle Aufgaben kritisch auf den Prüfstand stellen. Der Minister will dabei Konflikte in der Koalition in Kauf nehmen. `Ich mache nicht den starken Maxe, werde aber den Rahmen eng halten.“ Der Finanzchef erwartet auch 2011 steigende Steuereinnahmen, hält aber als Schuldengrund an der „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ fest. Einen Politikwechsel mit dem Verzicht auf „präventive“ Bildungsprogramm schloss Walter-Borjans allerdings aus.
Verweis auf Amtsvorgänger Linssen
Mit dem Freifahrschein für ungebremste Neuverschuldung könnte es nach dem Eingriff des Gerichts erst einmal vorbei sein. Walter-Borjans verteidigt sich damit, dass die Steuereinnahmen 2010 immer noch um fast 4,1 Milliarden Euro unter dem Höchstwert von 42,1 Milliarden Euro im Jahr 2008 liegen. Zudem habe auch Amtsvorgänger Helmut Linssen (CDU) für die kommenden Jahre jeweils mehr als sechs Milliarden Euro neue Kredite eingeplant.
Bei der Anhörung vor dem Verfassungsgericht am 15. Februar in Münster will Walter-Borjans die dramatische Haushaltslage sowie die WestLB-Risiken erläutern. „Die Einstweilige Anordnung ist von der Optik her alles andere als erfreulich“, räumte der angeschlagene Minister ein. Für die Opposition ist Walter-Borjans schon jetzt gescheitert. Die FDP kündigte für die kommende Woche einen Antrag auf Missbilligung gegen Hannelore Kraft und Walter-Borjans an. (mit dapd)