Essen. Der amerikanische Botschafter in Deutschland hält viel von Freiheit der Presse, aber das Vorgehen von Wikileaks sei eine Straftat. Philip Murphy sprach am Montagabend vor mehr als 2000 Gästen beim Politischen Forum Ruhr in der Essen.

Was sagt ein hochrangiger Diplomat von den Veröffentlichungen hochvertraulicher Diplomatendepeschen durch die selbsternannten „Enthüller“ von Wikileaks? Einer, der selbst betroffen war, indem er wenig Schmeichelhaftes von Kanzlerin Merkel („selten kreativ“, risikomeidend) sagte bzw. weitergab. Einer, der Außenminister Westerwelle für eitel hielt, inkompetent?

Philip Murphy, der amerikanische Botschafter in Deutschland, sagt, er halte viel von Freiheit der Presse, aber das Vorgehen von Wikileaks sei eine Straftat. Um seinen Zorn verständlich zu machen, setzt er mit einem plausiblen Beispiel nach, indem er sein Publikum fragt: „Was würden Sie sagen wenn Sie Ihr Tagebuch verlieren und der Finder gibt den privaten Inhalt über die Presse der Öffentlichkeit preis?“

Sein Zorn ist authentisch, denn da werde Vertrauen mit Füßen getreten. Doch Murphy sieht in der Affäre keinen Anlass, die deutsch-amerikanischen Beziehungen zu stören. Und um diese geht es ja bei seinem Essener Besuch.

Voll besetzt ist die mehr als 2000 Gäste fassende Philharmonie, wo Murphy beim Politischen Forum Ruhr am Montagabend über die „globale Rolle der deutsch-amerikanischen Partnerschaft“ referiert.

Murphy, 53, hat fast sein halbes Leben beim weltweit aktiven Finanzdienstleister Goldman Sachs Karriere gemacht. Seit 18 Monaten vertritt er die USA und ihren Präsidenten Barack Obama in der Bundesrepublik. Investor ist er immer noch, aber jetzt in Vertrauen: Allein in den ersten Minuten des Vortrags, der vom Schauplatz Afghanistan bis zum mittelständischen Unternehmen im vergleichsweise beschau­lichen Heiligenhaus reicht, nimmt er den Begriff „deutsch-amerikanische Partnerschaft“ fünf Mal in den Mund und am Ende wird er Deutschland als „Kernstück der Europäischen Union“ bezeichnen, als einen „Anker unseres globalen diplomatischen Engagements“.

Murphy, nur ein Schmeichler?

Murphy, nur ein Schmeichler? Nein, ein Diplomat, der hier „gemeinsame Werte und Prinzipien“ beschwört und damit einem verbreiteten linksorientierten USA-Skeptizismus entgegenzutreten versucht. Ein Politiker, der weiß: So unverbrüchlich wie einst sind die Beziehungen nicht mehr. Und ein pragmatischer Patriot, der Unterstützung für das durch Finanz- und ­Wirtschaftskrise geschwächte Amerika sucht. Von einsich­tiger Selbstkritik – „schuldengetriebene Konsumorgie“ der USA – geht Murphy zu offen­siver Vertrauensbildung für den vermeintlich an Macht und Image recht angeschlagenen Präsidenten über und bemerkt, „dass Berichte über den Niedergang der politischen Agenda von Präsident Obama stark übertrieben waren“. Und außerdem: „Die Regierung der Vereinigten Staaten ist nicht zu endlosem Stillstand verdammt.“

„Der amerikanische Wohlstand ist wichtig für Deutschland“ und umgekehrt, bringt Murphy die enge, traditionelle Verflechtung beider Staaten und Gesellschaften in die Erinnerung zurück. Nationaler Wohlstand aber sei es, was „die Weichen für globale Sicherheit stellt“, sagt der Botschafter, womit er die Brücke zur Sicherheitspartnerschaft schlägt. Und die war in Sachen Afghanistan zwischen Amerikanern und Deutschen nicht immer frei von Schatten.

„Großer Respekt“

Hier jedoch lobt er Deutschlands Beitrag, der nicht, wie von manchem Nato-Partner gewünscht, auf militärischen Einsatz, sondern auf Ausbildung und Aufbauhilfe abzielt. Er spricht von „bedeutenden Fortschritten“ im kriegsgeschüttelten Land und er sagt, Deutschland leiste einen maßgeblichen Beitrag. Ich konnte mich selbst davon überzeugen, dass Ausbildung der Schlüssel für den Übergang (zu Stabilität) in Afghanistan ist“.

Übrigens: Auch die Bundesregierung hat den Wikileaks-Fall zu den Akten gelegt. Längst hat Murphy versichert, er zolle Merkel und Westerwelle „großen Respekt“.