Essen/Düsseldorf. . Drei reiche Bundesländer drohen mit einer Klage gegen den Länderfinanzausgleich. Baden-Württemberg will Kindern in anderen Bundesländern keinen kostenlosen Schulbus finanzieren. Auch NRW geriet am Montag in die Schusslinie – zu Recht?

Drei Bundesländer drohen damit, im Sommer gegen den Länderfinanzausgleich zu klagen: Bayern, Baden-Württemberg und Hessen beschlossen am Montag in Stuttgart, auf diesem Wege den Spardruck auf die ärmeren Bundesländer zu erhöhen. Und das sind ja fast alle anderen. Auch NRW gerät jetzt in die Schusslinie.

Wer zahlt? wer profitiert?

Im Länderfinanzausgleich wurden 2010 knapp 7 Milliarden Euro hin- und hergeschoben. Es gab drei große Zahler (Bayern, Hessen und Baden-Württemberg), die je zwischen 1,7 und 3,5 Milliarden aufbrachten, und einen Kleinen (Hamburg), der 62 Millionen zahlte. Alle anderen zwölf Länder sind Empfänger: Der eine dicke Brocken ist Berlin mit 2,8 Milliarden. Die anderen Länder bekommen zwischen 100 Millionen und 466 Millionen Euro.

Warum überhaupt Länderfinanzausgleich?

Die gegenseitige Hilfe gehört zu den Geschäftsgrundlagen des föderalen Staates und ist im Grundgesetz verankert. In Artikel 107 heißt es, durch ein Bundesgesetz sei sicherzustellen, „dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird“. Daher stellen Bayern, Baden-Württemberg und Hessen auch nicht den Finanzausgleich insgesamt infrage, sondern nur das Wieviel. Wie viel Ausgleich und wie viel Eigenverantwortung sind „angemessen“?

Ist die Drohung der Drei ein historischer Bruch mit den Gepflogenheiten in der Bundesrepublik?

Nein. Das Wort „angemessen“ war ja schon immer eine Quelle des Streits. Schon 1999 hatten drei Länder – es waren Bayern, Baden-Württemberg und Hessen – gegen den Länderfinanzausgleich geklagt. Die Karlsruher Richter hüteten sich aber, im Urteil festzulegen, was „angemessen“ ist: Das habe die Politik zu entscheiden. Daraufhin wurden die Gesetze etwas geändert. Die neuen Fassungen gelten bis 2019. Spätestens dann müssten Bund und Länder die seitenlangen Regelwerke mit ihren Formeln, Faktoren und Messzahlen sowieso neu aushandeln – zumal dann auch der „Soli“ für die ostdeutschen Länder ausläuft.

Was stört die Geberländer?

Baden-Württembergs Mi­nis­terpräsident Stefan Mappus (CDU) glaubt, dass sich einzelne Nehmerländer in ihrer Abhängigkeit gut eingerichtet hätten. Besonders auf dem Kieker hat er Berlin und Rheinland-Pfalz. Dessen Regierungschef Kurt Beck (SPD) habe gebührenfreie Kindergärten eingeführt und verspreche im Wahlkampf kostenlose Schulbusse – alles Kostenpunkte, die sich das Geberland Baden-Württemberg verkneife. Und Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU) griff NRW an: Die Abschaffung der Studiengebühren und der Beiträge für das letzte Kita-Jahr werde von den Südländern mit finanziert.

Wie stark wirkt sich der Finanzausgleich aus?

Hessen fühlt sich besonders benachteiligt. Die dortige Regierung argumentiert, dass die Finanzkraft des Landes 124 Prozent des Bundesdurchschnitts betrage – nach dem Finanzausgleich seien es nur noch 107 Prozent. Das Gegenteil sei in Berlin der Fall: Aus eigener Kraft bringe es die Stadt nur auf 68 Prozent des Bundesdurchschnitts – durch den Finanzausgleich werde sie aber auf 90 Prozent gehoben.

Der Süden gibt, der Norden nimmt – war das schon immer so?

Baden-Württemberg hat tatsächlich immer eingezahlt. Hessen zahlte fast immer – bis auf ein paar Jahre, in denen das Land genau im Durchschnitt lag und weder gab noch nahm. Ganz anders Bayern: Der Freistaat war von 1950 bis 1986 ein Nehmerland, erst 1989 begann er, in den Topf einzuzahlen. Andererseits gibt es im Norden das kleine, aber feine Hamburg, das (bis auf zwei Jahre in den Neunzigern) immer schon auf der Geberseite stand. Hamburg will von einer Klage aber nichts wissen, weil es von der bisherigen Regelung profitiert: Weil es ein Stadtstaat ist, wird bei Hamburg nicht so sehr hingelangt wie bei den reichen Flächenländern.

Muss ich als NRW-Bürger nun in Sack und Asche gehen, weil ich vom Finanzausgleich profitiere?

Nordrhein-Westfalen hat von 1950 bis 1979 immer in den Finanzausgleich eingezahlt. Dann brachte der Strukturwandel 15 Jahre, in denen NRW mal zahlte, mal bekam, mal genau im Durchschnitt lag. 1995 begann das Land wieder satt einzuzahlen, weil jetzt die armen Ost-Länder in den Finanzausgleich aufgenommen wurden. Dieser statistische Effekt hielt NRW bis 2007 auf der Geberseite, seitdem empfangen wir wieder – 2010 sogar ziemlich viel (siehe Grafik). Schaut man sich die NRW-Bilanz von 1950 bis heute an, so hat das Land aber knapp 17 Milliarden mehr eingezahlt, als es bekommen hat (inflationsbereinigt sogar rund 30 Milliarden).

Was sagt die NRW-Landesregierung zu den Vorwürfen aus dem Süden?

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hielt den drei Ländern ein „merkwürdiges Verständnis von Solidarität“ vor. Gerade Bayern habe viele Jahre Nordrhein-Westfalens Solidarität in Anspruch genommen. Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) verwies außerdem darauf, dass NRW zwar Nehmerland im direkten Finanzausgleich sei. Auf einem anderen Kanal, dem Umsatzsteuerausgleich, habe NRW aber 2,2 Milliarden in den Pott eingezahlt.