Berlin. . 22.000 Bauern, Umweltschützer, Imker und Verbraucher ziehen durch das Berliner Regierungsviertel und forderten ein radikales Umdenken in der Agrarpolitik. Auf dem internationalen Agrarministergipfel in Berlin haben sich unterdessen Politiker für stabile Lebensmittelpreise eingesetzt.

Es war vor gut neun Monaten, als ein Bündnis aus 120 Agrar- und Umweltverbänden damit begann, für Januar 2011 eine Demonstration gegen industrielle Landwirtschaft zu organisieren. Von Dioxin-Rückständen in Eiern und Schweinefleisch ahnte die Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt noch nichts. So rechneten die Organisatoren mit 5.000 Teilnehmern. Am Ende kamen am Samstag mehr als 22.000 Menschen. Bauern, Umweltschützer, Imker und Verbraucher zogen gemeinsam durch das Regierungsviertel und forderten ein radikales Umdenken in der Agrarpolitik.

Auch die Programmiererin Eveline Merches aus dem bayerischen Altötting kam in die Hauptstadt, um unter dem Motto „Wir haben es satt - Nein zu Gentechnik, Tierfabriken und Dumpingexporten“ gegen Massentierhaltung und Agrarsubventionen zu protestieren. Der Dioxin-Skandal sei für sie nicht ausschlaggebend gewesen zu kommen, sagte sie. Doch sei es jetzt besonders wichtig zu protestieren. „Wenn wir die Menschen jetzt davon überzeugen können, den Krempel der Agrarfabriken nicht mehr zu kaufen, müssen die Großbetriebe zwangsläufig umdenken“, so ihr Credo.

Gegen die „Aldisierung“ der Landwirtschaft

Der Protesttag begann am Morgen mit einer Traktorensternfahrt zur Grünen Woche auf dem Messegelände unter dem Funkturm. Die Folge: Stau und stockender Verkehr auf so mancher Straße. Treffpunkt am Mittag für Traktoren und die aus allen Teilen des Landes angereisten Demonstranten war der Hauptbahnhof. Von dort aus setzte sich der kilometerlange Protestzug nur langsam in Bewegung. Dass vier Mal so viel Menschen kamen wie erwartet, machte jeden Zeitplan hinfällig. Die Menge schob sich Stück für Stück durchs Regierungsviertel.

Erst nach zwei Stunden - eine Stunde später als geplant - erreichte der Protestzug das Brandenburger Tor. Dort wurden lautstark Konsequenzen aus dem Dioxin- und anderen Lebensmittelskandalen gefordert. Die Förderung von Agrarfabriken müsse ein Ende haben, Bundesregierung und EU sollten vielmehr die bäuerliche Landwirtschaft fördern.

„Die Bundesregierung muss endlich begreifen, dass sie bei Fortsetzung ihrer Blockadepolitik gegen eine nachhaltige und gerechte Agrarreform in Europa schon beim nächsten Lebensmittelskandal wieder ins Schlingern gerät“, rief der BUND-Vorsitzende, Hubert Weiger, in die Menge. Er warnte vor „einer Aldisierung und Mc-Donaldisierung“ landwirtschaftlicher Produkte.

Künast attackiert Aigner und Röttgen

Rückendeckung erhielten die Demonstranten von Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. „Volle Subventionen darf nur der erhalten, wer ökologisch und sozial arbeitet“, forderte sie. Dafür solle sich Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) einsetzen, und nicht eine Reform der EU-Agrarsubventionen blockieren. Eine radikale Kehrtwende in der EU-Förderpolitik sei bitter nötig.

Künast nahm sich auch Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) vor. „Wo ist der eigentlich? Wann sagt er endlich, dass sich Deutschland für eine Agrarwende einsetzt“, fragte Künast, die im September als Spitzenkandidatin ihrer Partei zur Berliner Abgeordnetenhauswahl antritt. Röttgen sei seit Bekanntwerden des Dioxin-Skandals untätig geblieben.

Mit „Rock For Nature - Konzert für eine gentechnikfreie Welt“ klang der Aktionstag aus. Im nächsten Jahr wollen die Demonstranten wieder kommen, sagten viele. Mit oder ohne Skandal.

Agrarminister wollen sich für stabile Lebensmittelpreise einsetzen

Die Regierungen zahlreicher Staaten wollen verstärkt gegen die starke Schwankung von Lebensmittelpreisen vorgehen. Auf dem internationalen Agrarministergipfel in Berlin unterstützten die Landwirtschaftsminister aus 50 Ländern am Samstag den Vorschlag des französischen Ressortchefs Bruno Le Maire, das Thema auf die Agenda der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-20) zu setzen. „Wir müssen die Preisvolatilität bekämpfen“, sagte Le Maire im Anschluss an den Gipfel. Sie sei ein Problem für Landwirte und für Verbraucher weltweit. Noch in diesem Jahr solle es „konkrete Lösungen“ geben, sagte Le Maire.

Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) sagte, es sei wichtig, dass die Welternährung auf der internationalen Bühne eine wichtigere Rolle spiele. Das Treffen in Berlin sei dabei nicht der „Schlusspunkt, sondern Auftakt für eine weitere Diskussion in den internationalen Gremien“. In der Abschlusserklärung des Gipfels drückten die Minister ihre Sorge über „exzessive Ausprägungen von Preisvolatilität und Spekulation auf Agrarmärkten“ aus. Diese könnten eine „Bedrohung für die Ernährungssicherung darstellen“. Zugleich betrachten sie eine „freie und transparente“ Preisbildung als unabdingbar.

Bei dem Treffen anlässlich der Grünen Woche ging es im Kern um die Frage, wie weltweit genug Nahrungsmittel zu bezahlbaren Preisen verfügbar gemacht werden können. Steigende Lebensmittelpreise hatten in den vergangenen Wochen die Sorge vor einer neuen Nahrungsmittelkrise wachsen lassen. In einigen nordafrikanischen Staaten war die Verteuerung der Lebensmittel ein Grund für soziale Proteste, in Tunesien führten diese zum Sturz von Staatschef Zine El Abidine Ben Ali. (dapd/afp)