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Anfangs als virtueller Sport für Computerfreaks belächelt, ist die Spielkonsole Wii inzwischen beliebtes Spielzeug, um zu Hause virtuellen Sport zu treiben. Experten warnen jedoch vor gesundheitlichen Schäden bei zu häufigem Gebrauch.

Als die erste Wii-Konsole am 8. Januar 2006 in Deutschland auf den Markt kam, war Daniel Mattick einer der ersten, die sich sogleich ins virtuelle Vergnügen stürzten. Den ganzen Abend und den halben nächsten Tag spielte der 28-Jährige Dortmunder am Bildschirm Tennis oder bowlte – ohne dabei auch nur einen Schritt vor die Tür gehen zu müssen. Die Konsequenz ließ nicht lang auf sich warten. Nur wenige Stunden später fingen die Schmerzen im Arm an. Die einseitige und ungewohnte Bewegung des Armes hatte Sehnen und Muskeln überstrapaziert.

Was sich wie die Geschichte eines einzelnen Computerfreaks anhört, ist ein inzwischen weit verbreitetes Phänomen. Die Medizin brauchte nicht lange, um der neuen „Krankheit“ einen neuen Namen zu geben: die Wiitis war geboren. Tatsächlich jedoch sind Krankheitsbilder, die auf eine zu häufige Benutzung einer technischen Neuheit zurückzuführen sind, nichts Neues.

Neue Namen für neue Krankheiten

Bereits 1981 erschien in dem renommierten medizinischen Fachblatt New England Journal of Medicine ein Artikel über einen Studenten, der auf seiner Atari-Konsole so lange Außerirdische abschoss, bis sein Handgelenk erst schmerzte und sich dann versteifte. Das „Space Invaders Handgelenk“ war geboren.

Heute ist der Markt mit Spielkonsolen und ähnlichem überflutet. Von einem richtigen Boom an technik-assoziiert Geschädigten wollen Mediziner dennoch nicht sprechen. Zwar tauchen von Zeit zu Zeit immer wieder kuriose Fallberichte in medizinischen Fachmagazinen auf. Im Ruhrgebiet gibt es jedoch nur wenige Ärzte, die Patienten mit Wiitis oder einem Nintendo-Daumen behandelt haben. „Im Moment treten solche Fälle noch zu selten auf, um von einem wirklich ernstzunehmenden Problem zu sprechen“, meint der Essener Orthopäde Ulrich am Orde. Bislang würden immer noch jene Fälle überwiegen, in denen Patienten unter Beschwerden aufgrund ihres Arbeitsumfeldes leiden würden: „Mediengestalter, die zu lange am Computer ihr Zeichenprogramm benutzen und dadurch unter Schmerzen am Ellbogen, ähnlich wie bei einem Tennisarm, leiden. Oder der Büromensch, der einen Mausarm hat, das kommt häufig vor.“

Dennoch sieht der Orthopäde die Problematik hinter der steigenden Begeisterung für künstliche Sportarten, die nur auf dem Bildschirm real sind. „Bei einigen dieser Spiele benutzt man sehr selektiv bestimmte Gelenke oder Muskelpartien und diese dann exzessiv. Wer dabei die Zeit vergisst, sollte sich über Beschwerden nicht wundern“, so der Arzt.

Fehlende Kontrolle eines Trainers

Ähnlich sieht das Boris Feodoroff von der Deutschen Sporthochschule in Köln. „Prinzipiell gilt: Jede Bewegung ist gut und richtig. Bei der Wii ist das Problem, dass die Bewegungssensoren nur erfassen, dass der Ball beim virtuellen Tennis übers Netz geht, nicht aber, wie deine Füße stehen oder ob die Schwungtechnik sportartgerecht durchgeführt wurde.“ Die fehlende Kontrolle eines Trainers könne deswegen in manchen Fällen zu wiederholten „unphysiologischen Bewegungen“ führen, die sich nachteilig auf die Gesundheit auswirken könnten. Vor allem bei übermäßigem Gebrauch.

Wie schnell das gehen kann, erlebte Nicole Frischlich am eigenen Leib. Die 40-Jährige aus Castrop-Rauxel bekam Weihnachten 2009 eine Wii geschenkt. Begeistert wurde das Geschenk mit der gesamten Familie noch am selben Abend ausprobiert – und das stundenlang. Der Muskelkater ließ nicht lang auf sich warten. „Schultern, der Arm, der Rücken, jede Bewegung tat so unendliche weh“, erinnert sie sich. Doch trotz ihrer Schmerzen konnte Nicole Frischlich nicht von ihrem neuen Spielzeug lassen. Kurze Zeit später schwang sie schon wieder den virtuellen Tennisschläger. „Es ist wie eine Sucht“, so ihr eigenes Urteil.

Und genau da, so die fachärztliche Meinung, liegt das Problem. „Die meisten lernen aus einem einmaligen großen Muskelkater, solche Fälle sind nicht sonderlich tragisch“, so Ulrich am Orde. „Kritisch wird es erst, wenn jemand immer weiter spielt, die Schmerzen ignoriert oder sie sogar durch schmerzlindernde Medikamente überspielt. Dann geht der Entzündungsprozess im Körper immer weiter und das kann dann zu chronischen Leiden führen.“

Die Alternative: Kinect für die Xbox

Ein Lichtblick am Konsolenhimmel ist dem Sportwissenschaftler Feodoroff zufolge die Kinect-Steuerung für Microsofts Xbox. Die Kinect nutzt einen Bewegungssensor, der den ganzen Körper des Spielers erfasst. Beim Spielen werden dadurch alle Körperbewegungen erfasst und in Steuerbefehle umgewandelt, der Bildschirmcharakter führt exakt die gleichen Bewegungen wie der Spieler aus und dient somit als Kontrolle über die eigenen Bewegungen. Feodoroff vermutet, dass diese Art der Technik sich langfristig auf dem Markt durchsetzen wird.

Fazit: Inwieweit die neuen Sportarten auch einen gesundheitlich positiven Aspekt haben, bleibt fraglich. „Wenn es sich um Sportarten oder Spiele handelt, bei denen man viele Muskelgruppen wirklich bewegt, kann es durchaus einen positiven Effekt haben“, sagt der Orthopäde. Dennoch würden auch hier die gleichen Regeln wie beim reellen Sport gelten. „Wer sich viel bewegt, muss sich vorher dehnen und aufwärmen.“ Doch wer sich aufraffen könne, stundenlang virtuelles Tennis zu spielen, könne es auch gleich mit echtem Sport versuchen. Da würden dann wenigstens noch Endorphine mitausgeschüttet. Und die machen schließlich richtig glücklich. Ein Nebeneffekt, der beim Wii-Spielen ausbleibt.