Mülheim. .
Sie heißen „Eva“ oder „Vera“ und sollen Ärzte entlasten. Auch in NRW übernehmen speziell ausgebildete Arzthelferinnen zunehmend Mediziner-Aufgaben wie Hausbesuche. Doch einheitliche Qualitätsstandards für ihre Arbeit gibt es noch nicht.
Daniela Reich hat einen neuen Namen. Sie darf sich jetzt Eva nennen. Denn sie kann viel mehr als die meisten anderen Arzthelferinnen in NRW: Reich macht bis zu zehn Hausbesuche in der Woche, behandelt Patienten zuhause und in Senioren-Heimen. Sie misst den Blutzuckerwert, wechselt Verbände, setzt Aufbauspritzen. Aufgaben, die sie zuvor gar nicht oder nur im Beisein ihres Chefs übernehmen durfte.
„EVA“ steht für „Entlastende Versorgungsassistentin“. Die Fortbildung ist ein Angebot der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und der Ärztekammer Nordrhein. Sie dauert knapp eineinhalb Jahre. In diesem Sommer haben die ersten 31 Evas ihren Abschluss gemacht, darunter auch Daniela Reich. Sie belegte den Kurs neben ihrer Arbeit in der Praxis von Georg Heinrichs in Mülheim. Der Hausarzt beschäftigt inzwischen zwei Evas. „Ich musste vorher rund 300 Hausbesuche pro Quartal stemmen“, sagt er. „Das war alleine kaum noch zu schaffen.“
„Eva kein Arzt-Ersatz“
Überbelastung, Ärztemangel, Vergreisung – das sind die drei Sorgen, die das deutsche Gesundheitssystem umtreiben. Programme wie Eva bieten eine Möglichkeit, die drohende Unterversorgung abzufedern. „In anderen Ländern ist es längst üblich, dass ärztliche Aufgaben an Pflegekräfte delegiert werden“, sagt Jürgen Wasem, Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Duisburg-Essen. „Wir werden ohne solche Modelle in Zukunft nicht mehr auskommen“. Die Qualität müsse dabei jedoch nicht auf der Strecke bleiben.
Auch bei der KV Nordrhein ist man bemüht, mögliche Bedenken der Patienten zu zerstreuen: „Eine Eva soll den Arzt entlasten, nicht ersetzen“, betont Vorstand Bernd Brautmeier. „Die Evas liefern nur die Informationen, Diagnose und Therapie bleiben natürlich in meiner Hand“, sagt Hausarzt Heinrichs. Daniela Reich versichert: Sobald vor Ort ein Problem auftauche, sei ihr Chef jederzeit per Handy zu erreichen und käme dann auch schnell dazu. Und wie reagieren die Patienten auf sie? „Beklagt hat sich bisher noch niemand“, sagt Reich. Dennoch tragen sie und die anderen Evas viel Verantwortung. Die Arzthelferinnen müssen Behandlungs-Situationen richtig einschätzen können und auch bei Notfällen schnell reagieren. „Wenn etwas schief läuft, hafte ich dafür“, sagt Heinrichs.
„Stewardess im Cockpit“
Die Evas in NRW haben ältere Schwestern. Sie heißen „Agnes“ und sind vor allem in Ostdeutschland unterwegs, dort also, wo der Ärztemangel in ländlichen Regionen längst akut ist. Gemeindeschwestern gab es hier bereits zu DDR-Zeiten. Seit 2005 laufen mehrere Agnes-Modellprojekte in verschiedenen Bundesländern. Benannt wurden sie nach dem beliebten DDR-Fernsehfilm „Schwester Agnes“.
Der Chor der Entrüsteten war anfangs groß. „Das ist ja so, als ob die Stewardess plötzlich im Cockpit sitzt und das Flugzeug steuert.“ Solche und ähnliche Sätze bekam Wolfgang Hoffmann sowohl von Ärzteverbänden als auch von Politikern zu hören. Der Medizinprofessor der Universität Greifswald und sein Team haben die Agnes-Projekte wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Ihr Fazit: Agnes bürge für eine hohe Qualität. Und inzwischen sei die Mehrheit der Patienten und Mediziner von dem Modell überzeugt.
Qualität nicht belegt
Dennoch blickt der Wissenschaftler mit Sorge auf die Nachahmerprojekte. Neben Evas, die ab Januar auch in Westfalen-Lippe ausschwärmen, gibt es unter anderem noch „Veras“. Diese Kopien bezeichnet Hoffmann schmunzelnd als „kleine Schwestern der Agnes“, einige seien jedoch eher „Agnes light“. Die Günde: Für keines dieser Modelle gebe es bislang eine Begleitforschung, daher seien im Gegensatz zum Agnes-Konzept derzeit weder deren Qualität noch Wirksamkeit belegt. Zudem sei die Ausbildungszeit der Agnes-Fachkräfte deutlich höher. Sie müssen rund 600 Unterrichtsstunden büffeln, Evas dagegen lediglich bis zu 230.
Umso wichtiger wäre es, genaue Qualitätsstandards zu definieren. Was dürfen Evas oder Veras? Und wie lange müssen sie lernen, bis sie alleine zum Hausbesuch ausrücken können? Diese Fragen soll eine Richtlinie klären, die der Bundesausschuss aus Ärzten und Krankenkassen derzeit erarbeitet.
Keine Unterversorgung in NRW
Fraglich ist zudem, ob sich das Modell Eva in NRW durchsetzen wird. Denn noch können Ärzte die Hausbesuche ihrer Helferinnen nicht abrechnen. Das Problem: Seit 2009 ist die Vergütung so genannter ärztlich übertragener Aufgaben zwar gesetzlich geregelt, allerdings nur für unterversorgte Regionen. „Die haben wir in NRW bislang noch nicht“, räumt KV-Vorstand Brautmeier ein. „Wir verhandeln derzeit mit den Krankenkassen über neue Vereinbarungen, bislang jedoch ohne Erfolg.“
Auch der Verband der Ersatzkassen (vdek) in NRW will in diesem Punkt offenbar hart bleiben. „Wir halten den Ansatz grundsätzlich für sinnvoll. Allerdings sollten Evas oder auch andere Modelle primär in Gebieten zum Einsatz kommen, wo sie wirklich benötigt werden“, sagt vdek-Sprecher Dirk Ruiss. In NRW gebe es jedoch keinen Ärztemangel und keine Unterversorgung, sondern ein Verteilungsproblem. Daher müsse man sich auch darauf konzentrieren, mehr Ärzte aus überversorgten Ballungsgebieten abzuziehen und für Landarztpraxen zu gewinnen. Hier seien kreative Lösungen gefragt.
Die Bewohner des kleinen Ortes Lette im Münsterland sind besonders erfinderisch. Sie buhlen mit einer speziellen Charme-Offensive um einen neuen Hausarzt. Vom Metzger gäbe es Würstchen, vom Bäcker die Brötchen dazu und die Friseurin würde Herrn Doktor die Haare schneiden. Und das alles umsonst. Vielleicht spendieren die Letter ihm ja auch irgendwann eine Eva dazu.