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Nach dem schweren Unfall eines Wettkandidaten in der TV-Show „Wetten, dass...?“ will das ZDF die Bilder aus der Unglückssendung „nie mehr senden“. Medienexperten fordern, Risiken in Unterhaltungssendungen zu senken.

Wer die Szene gesehen hat, wird sie so schnell nicht vergessen: Zweimal war Wettkandidat Samuel Koch am vergangenen Samstag in der TV-Show „Wetten, dass...?“ mit Sprungfeder-Schuhen über auf ihn zufahrende Autos gesprungen. Der dritte Versuch des 23-Jährigen endete tragisch, Koch kam bei der Landung aus dem Gleichgewicht und stürzte bäuchlings auf den Hallenboden. Ganz kurz zeigte die Kamera den Wettkandidaten, wie er am Boden lag - dann ging der Blick ins Publikum. Später brach das ZDF die Übertragung ab - erstmals in 29 Jahren „Wetten, dass...?“.

Nächste „Wetten, dass...?“-Show ist am 12. Februar

Es ist ein Ereignis, das in die TV-Geschichte eingehen wird - aber die Bilder, sagt ZDF-Sprecher Walter Kehr auf Anfrage von DerWesten, „wollen wir nie wieder zeigen“. Wiederholungen seien ausgeschlossen, erklärt Kehr. Eine Ausnahme würde man vielleicht höchstens für einen TV-Jahresrückblick machen - „wenn Samuel alles ohne Nachwirkungen überstehen würde“, sagte Kehr. Noch aber liegt der Wettkandidat in der Düsseldorfer Uni-Klinik im künstlichen Koma. Der Termin der nächsten „Wetten, dass...?“-Show stehe zwar bereits fest, sie soll am 12. Februar in Halle starten, erklärt Kohr: „Aber wir wollen uns erst mit dem Programm beschäftigen, wenn wir wissen, wie es Samuel geht.“

Schnell hatte die Regie am Samstagabend in Düsseldorf reagiert; nur noch der Ton ließ für die Fernsehzuschauer die Dramatik erahnen, die sich vor dem Publikum in der Messehalle 6 abspielte. „Das ZDF hat vollkommen richtig reagiert“, lobt Jürgen Brautmeier, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW. Die TV-Macher hätten verantwortungsbewusst gehandelt, „sie haben das Wohl der Beteiligten geschützt“ und das der Zuschauer im Blick gehabt. So wollen es auch die Vorschriften in den Rundfunk- bzw. Telemedien-Staatsverträgen.

„Die Grenzen lernt man leider erst durch Unfälle kennen“

In der Hauptsendezeit zwischen 20 und 22 Uhr müssen die Sender berücksichtigen, dass Jugendliche ab zwölf Jahren unter den Zuschauern sind. Die TV-Bilder sollen nicht dazu beitragen, dass Heranwachsende verstört oder gar traumatisiert werden. Dass ein Privat-Sender der Sensationslust freien Lauf gelassen hätte, glaubt Jürgen Brautmeier nicht: „RTL zum Beispiel hätte ähnlich reagiert“. Für Brautmeier ist denn auch nicht die Frage der Übertragung das Problem, sondern die Spiele: „Die Bereitschaft, Grenzen auszutesten ist das Schlimme.“ Das müsste entschärft werden. „Die Quote“, meint Brautmeier, sorge für den Druck, „das Risiko immer weiter zu steigern“. Das freilich, „ist auch eine Sache des Publikums“, es sei „Teil der Show“.

„Wäre der Unfall in einer Probe passiert“, wäre das Thema wieviel Risiko vertragen TV-Shows, „wahrscheinlich kaum thematisiert worden, obwohl die Folgen für den Kandidaten dieselben gewesen wären“, gibt Joachim von Gottberg zu bedenken, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen FSF. Für ihn ist am Samstag sowohl für den Sender als auch die Zuschauer „das Schlimmste passiert: der Unfall geschah vor Publikum und laufender Kamera.“ Für von Gottberg bedeutet der Unfall allerdings nicht das Aus derartiger TV-Formate: „Die Grenzen lernt man leider nur durch Unfälle wie diesen kennen, der sicher in Zukunft mehr Zurückhaltung schaffen wird.“

Ex-Produzent fordert ZDF zum „Abrüsten“ auf

Schon vor Jahren hätte es bei „Wetten, dass...?“ einen dramatischen Beinahe-Unfall gegeben, erinnert sich unterdessen Holm Dressler, von Sendestart bis 1992 Redakteur und Produzent der Show. 1989 hatte ein Kandidat gewettet, in 2500 Metern Höhe mit einem Fallschirm aus einem Heißluftballon zu springen und dann in der Luft auch wieder hineinzukommen. Zunächst sei alles planmäßig abgelaufen. Dann habe der Kandidat den Korb nicht getroffen, der Fallschirm habe sich verwickelt. Mit Mühe sei er doch hineingekommen: „Wir hielten alle den Atem an“.

Ein Leitsatz sei gewesen, dass eine Wette spannend sein müsse, aber nicht gefährlich sein dürfe, berichtet Dressler, der als Produzent, Regisseur und Autor tätig ist. „Eine perfekte Wette muss nicht unbedingt funktionieren, sondern es ist wichtig, dass die Chance auf Gelingen bei 50 zu 50 liegt.“ Je offener eine Wette sei, desto spannender. Es gehe nicht um den perfekten Stunt. Deswegen habe man früher auch keine Stuntleute, Artisten oder Profis eingeladen.

Eine solche Wette, wie die, die am Samstag bei „Wetten, dass..?“ zu dem schlimmen Unfall führte, wäre wohl damals nicht gezeigt worden, meint Derssler. Denn was wäre die Folge, wenn die Wette nicht gelingen würde, fragte er und antwortet: „Die Konsequenz ist doch, dass der Kandidat überfahren wird oder auf der Nase landet.“ Dressler fordert deshalb die ZDF-Verantwortlichen „zu einem Abrüsten in den Köpfen“ auf.

ZDF-Sprecher Walter Kehr hält diesen Hinweis „für wohlfeil“. Risiken gebe es immer. Ein Kandidat, der wettet, dass er Seifenblasen durch einen Baum pusten kann, „kann auch plötzlich eine Lungenembolie erleiden“. Die Kritik von Holm Dressler kommentiert Kehr: „Abrüsten kann man nur, wenn man vorher aufgerüstet hat.“ (mit dapd)