Berlin. .

Die Bundeskanzlerin betont die Realität der Bedrohungslage - warnt aber vor Panik. Laut Medienberichten planen El-Kaida-Terroristen, im Reichstag Geiseln zu nehmen. Die Informationen stammen angeblich von Dschihadisten.

Angesichts möglicher Anschlagspläne auf den Reichstag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen. „Wir haben eine reale Gefährdung durch den Terrorismus, das muss man einfach sehen“, sagte Merkel am Rande des Nato-Gipfels am Samstag in Lissabon. Die Menschen dürften sich aber nicht einschüchtern lassen. „Wir sind entschlossen, uns unsere Lebensweise der Freiheit nicht durch solche Bedrohungen nehmen zu lassen.“ Bundespolizei und Zoll verschärften ihre Grenzkontrollen. In der Koalition flammte der Streit über schärfere Sicherheitsgesetze wieder auf.

Nach einem „Spiegel“-Bericht planen Anhänger der Extremistenorganisation Al-Kaida und ihr nahe stehender Gruppen offenbar einen Anschlag auf das Reichstagsgebäude in Berlin. Dabei wollten die Angreifer Geiseln nehmen und ein Blutbad in dem historischen Gebäude anrichten, in dem der Bundestag tagt. Zeitpunkt sei Februar oder März, berichtete das Magazin unter Berufung auf deutsche Sicherheitsbehörden.

Informationen aus dem Terrorkreis

Die Informationen sollen von einem Dschihadisten aus dem Ausland stammen, der sich in den vergangenen Tagen mehrmals telefonisch an das BKA wandte. Er habe den Beamten erklärt, aus der Extremistenszene aussteigen zu wollen. Die Informationen seien für Innenminister Thomas de Maiziere Anlass gewesen, am Mittwoch öffentlich vor einem Anschlag zu warnen, hieß es.

Das BKA sprach von Spekulationen. „Es gibt keinen konkreten, nachvollziehbaren Verdacht“, sagte Behördenpräsident Jörg Ziercke zu Reuters. Entscheidend sei, wie verlässlich eine Quelle oder eine Information sei. Das BKA und die Landeskriminalämter führten verdeckte Ermittlungen, die öffentlich nicht erörtert werden dürften. Es gebe aber keinen Grund, öffentliche Veranstaltungen abzusagen. „Zu Panik und Hysterie besteht in Deutschland kein Anlass“, sagte Ziercke.

Blaupause: Mumbai

Dem „Spiegel“ zufolge stammt ein zweiter Warnhinweis, auf den sich de Maizieres Einschätzung stützt, aus den USA. Die US-Bundespolizei FBI wandte sich demnach vor zwei Wochen mit einem Fernschreiben an das BKA und wies auf einen weiteren mutmaßlichen Anschlagsplan hin. Eine schiitisch-indische Gruppe, die sich „Saif“ (Schwert) nenne, habe einen Pakt mit der Al-Kaida geschlossen und zwei Männer auf den Weg nach Deutschland geschickt. Die beiden sollten am 22. November in den Vereinigten Arabischen Emiraten ankommen und von dort mit neuen Papieren ausgestattet nach Deutschland reisen.

Auch das ARD-Magazin „Report Mainz“ berichtete von Anschlagsplänen: In einem Fall sei ein Bombenanschlag auf eine Menschenmenge in einer Großstadt geplant. Nach einem zweiten Szenario sei ein Attentat mit Schusswaffen und Sprengstoff wie im indischen Mumbai vor zwei Jahren vorgesehen, hieß es unter Berufung auf ein internes BKA-Papier. Der Sachverhalt werde darin grundsätzlich als glaubwürdig bewertet.

De Maiziere hatte am Mittwoch erstmals konkret vor einem Anschlag gewarnt: Nach Hinweisen aus dem Ausland planen radikale Islamisten demnach bis Ende November Anschläge in Deutschland. Die Polizei hat seitdem ihre Kontrollen an Verkehrsknoten wie Bahnhöfen und Flughäfen verschärft und ihre Präsenz an öffentlichen Plätzen von symbolischer Bedeutung erhöht.

Auch die dem Innenministerium untergeordnete Bundespolizei warnte vor einem Anschlag. „Die Gefahr eines Terroranschlags in Deutschland ist heute konkreter als je zuvor. Sie ist höher als vor der Bundestagswahl im letzten Jahr und bei der Fußball-WM in Deutschland“, sagte Bundespolizei-Chef Matthias Seeger der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Anders als bei früheren Warnungen habe man mehrere Hinweise, die aus verschiedenen Quellen stammten.

Streit um Kontrollen

Beamte von Bundespolizei und Zoll kontrollierten vereinzelt auch wieder an den Grenzen, wie eine Sprecherin erklärte. Da befürchtet werde, dass Extremisten über die Türkei oder Griechenland einreisen könnten, seien vor allem die Kontrollen an der sogenannten Balkanstrecke verschärft worden. Es würden nicht nur Autos, sondern auch Reisebusse bei Verdacht überprüft. Es seien zivile und uniformierte Fahnder im Einsatz.

Als Konsequenz aus der erhöhten Anschlagsgefahr pochte Unions-Fraktionschef Volker Kauder auf schärfere Sicherheitsgesetze und forderte die Liberalen zum Einlenken auf. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warnte dagegen vor Überreaktionen: „Wenn wir uns auf eine Spirale von Terrordrohungen und Freiheitsbeschränkungen einlassen, werden wir das verlieren, was wir schützen wollen: den liberalen Rechtsstaat.“ Eine Wiedereinführung der erst kürzlich gekippten Vorratsdatenspeicherung lehnte die FDP-Politikerin ab. (rtr)