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Poetry Slam ist der ungebärdige Sohn der honorigen Dichterlesung - eine Wort-Schlacht ums Publim. Die Regeln sind einfach: Keine Kostüme, nicht singen, nur selbst Geschriebenes. Derzeit laufen die Meisterschaften im Ruhrgebiet.

Im Ruhrgebiet laufen derzeit die 14. deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry Slam. 150 Künstler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in den Kategorien Einzel, Team und U20 gegeneinander an. Zum Finale kommen die besten Poeten am Samstag in der Bochumer Jahrhunderthalle zusammen und kämpfen um die drei Meisterschaftstitel.

Anke Fuchs ist eine von ihnen. Wie für alle Teilnehmer gilt für sie: Am Anfang war das Wort. Sie wollte vor vier Jahren „nur mal was ausprobieren“, las aus ihrem Romanfragment – und gewann ihren ersten „Poetry Slam“. Poetry Slam? Das ist der ungebärdige, mittlerweile 24-jährige Sohn der Dichterlesung mit Tischchen, Lampe, Wasserglas und dezentem Applaus. Poetry Slam ist eine lautstarke Worte-Schlacht ums Publikum, das sich zwischen Nonsense und Lyrik seinen Reim macht bei Wettbewerben, die „Sprechreiz“, „World of Wordcraft“ oder „Cup der guten Worte“ heißen.

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Von DerWesten

Weil noch nicht alle wissen, was Poetry Slam ist, die Kulturhauptstadt in diesen Tagen aber erstmals die deutsche Meisterschaft ins Revier bringt, erklärt die 36-jährige Anke Fuchs die Regeln in einem Atem-Zug: „Keine Kostüme, nicht singen, nur selbst geschriebene Texte“, sagt sie im Regionalexpress von Hamm nach Düsseldorf und legt los: „Wenn die Liebe hinfällt, wäre es schön, wenn es ein Sonntag wäre, denn da habe ich meistens Zeit…“ so verdichtet sie ihr Leben zum Lesetext, der im Zweifel auch das Publikum überzeugt. Promotion für eine Kunstform, die mittlerweile ein Selbstläufer geworden ist: 130 Slams gibt es mittlerweile in Deutschland ungefähr und rund 1000 reisende Slammer - insofern ist der Zug ein passender Ort. Anke Fuchs schafft es, dass mancher die Zeitung sinken lässt oder die Ohrstöpsel aus dem Gehörgang puhlt. Poesie für Passagiere – die Magie des gesprochenen Wortes erreicht diejenigen, für die Dichterlesung sonst direkt vor Weltraumherpes kommt.

Das große Wort-Gefecht

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    Damit ist der Regionalexpress von Dortmund-Mengede nach Duisburg in die Richtung unterwegs, den die Erfinder des Poetry Slams einschlagen wollten: Menschen finden, die Rhythmus und Reim lieben und glauben, dass Worte die Welt ausmachen und diese sich womöglich sogar verändern lässt. In der Slam-Geburtsstadt Chicago wurde der Wettbewerb erfunden, auch um der Politik von unten eine Bühne zu geben. Der Polit-Rap ist in den USA dem Slam näher als hierzulande, wo fast zeitgleich in Frankfurt ein Mikro auf der Bühne stand. „Jeder darf mal“, hieß es dort - für fünf Minuten.

    Respekt in der „Slamily“

    Das gilt auch noch und passt gut fürs Lesen von Station zu Station: Nach jedem Bahnhof wechseln sich Necip Tokoglu und Anke Fuchs ab. Wäre dies der Wettbewerb, so würde an der Endstation bewertet. Wie „Deutschland sucht den Superdichter“, nur ohne gehässige Jury. „Slamily“ ist das Stichwort: Man respektiert sich, schließlich trifft man sich wieder zum verbalen Kräftemessen. Slammer sind viel auf Aachse. Die meisten der gut 1000 Vorleser sind zufrieden, wenn es für den Auftritt Fahrtgeld, Freibier und ein Faltbett für die Nacht gibt - Anke Fuchs ist schon knapp 30 000 Slamkilometer gefahren. Frank Klötgen, gebürtiger Essener, jetzt Berliner, einer der Organisatoren des Deutschsprachigen Poetry-Slam-Finales, schätzt, dass rund 30 bis 40 Slammer mehr oder weniger vom Wort im Mund leben können. Kaum vom Lesen allein, es müssen schon Bücher oder Kolumnen her.

    Diesen Weg geht gerade Necip Tokoglu, mit 49 einer der Senioren auf der Grand-Slam-Tour. Im nächsten Jahr kommt sein Buch heraus „Türkische Heimatgeschichten aus dem Westerwald.“ Wenn Tokoglu kurz vor Essen-Altenessen erzählt: „Früher war ich Türke, jetzt bin ich Deutscher mit ethnisch-anatolischem Migrationshintergrund“ und nach einer kleinen Pause hinzufügt: „Türke war einfacher“, zeigt er seine Nähe zum Politkabarett an, auch eine diffuse Grenze des Slam-Drei-Länder-Ecks zwischen Comedy, Poesie und Kurzgeschichte.

    „Ist-Zeit und War-Heit“

    Was zählt, ist der Applaus. Damit wird der Sieger des Abends gekürt. Beim Bundeswettbewerb allerdings wertet eine Jury. Schreiben für den Applaus -- das hat bei einigen Literaten Stirnrunzeln ausgelöst. Organisator Frank Klötgen, mit 42 in der Lebensphase „von der Ist-Zeit in die War-Heit“ sieht das entspannt. „Wir bringen Lyrik und Literatur zu Leuten, die sonst nie damit in Kontakt gekommen wären.“ Zwar gilt: Was auf der Bühne als gut gelesener Text rüberkommt, muss in Buchform nicht funktionieren. Doch haben immer mehr Lehrer den wortspielerischen Umgang mit Sprache schätzen gelernt. Zudem gilt beim Slam gilt nicht „Ein Mann, ein Wort.“ Hier machen viele Männer viele Worte: Slam ist offenbar die Testosteron-Variante des Lyrik-Lesezirkels.

    Anke Fuchs will sich da behaupten: Sie muss nach der Bahntour zur Vorrunde in Bochum antreten zwischen „Andi Substanz“, dem „Schriftstehler“. Das Slamfieber hat sie nicht mehr losgelassen. Textet sie für sich oder fürs Publikum? „Schreiben ist mir schon ein Bedürfnis“, sagt sie. „Aber wenn ein Text fürs Publikum funktioniert ist es auch toll.“ Ihr Roman landete vorerst auf dem Abstellgleis.