Wer bei einer Bücherei an alte, staubige Bücher in speckigen Ledereinbänden denkt, an streng blickende Bibliothekarinnen mit Brille und Dutt, die mit „Pssst“ und Kopfschütteln erbarmungslos das Ruhegebot „Silentium strictissimum“ durchsetzen, dessen Vorstellungen sind längst nicht mehr zeitgemäß.

Frischen Wind gab’s am Donnerstagabend in Großenbaum in der Schul- und Stadtteilbibliothek Gesamtschule Süd. Auf dem Programm stand ein Poetry Slam („Dichterwettstreit“). Diese Art des literarischen Wettbewerbs stammt aus den USA. Die Teilnehmer tragen selbstverfasste Texte vor, alle literarischen Genres sind erlaubt, von Gedichten über Kurzgeschichten, Rap und Comedy. Es gibt ein Zeitlimit und eine Jury aus Freiwilligen. Das sind die Regeln. Poetry Slams sind in der Künstlerszene etabliert, eine Bücherei ist allerdings ein ungewöhnlicher Austragungsort. Ungewöhnlich, aber mehr als geeignet: „Dies ist genau der richtige Ort für eigenerdachte, erfundene Literatur und Kreativität“, sagt Bibliotheksleiterin Britta Sester. In Duisburg ist sie Poetry-Slam-Pionierin, denn dieser literarische Wettbewerb fand noch nie in einer Stadtbibliothek statt. Zielgruppe waren „alle Leser von 13 bis 50 Jahre und älter.“ Sesters Rezept ging auf: Teilnehmer und Publikum waren bunt gemischt, alle Generationen vertreten. Teenager mit Kapuzenpullis, Sportjacken und farbige Palästinenserschals. Jungen und Mädchen flachsten mit- und untereinander. Daneben saßen Frauen mit Röcken und Blusen. Hier ein buntes Flanellhemd, dort Anzug und Abendgarderobe. Ein Mann mit grauem langem Pferdeschwanz erinnerte an die 70er Jahre. Auch Kinder wuselten umher. Ebenso unterschiedlich waren auch die 14 Slammer. Die jüngste Teilnehmerin war 13 Jahre alt, der älteste schon lange im Rentenalter. Vielfältig auch deren Beiträge und Vortragssprachen. So bewies zum Beispiel Kenan Eren, dass das von Kanzlerin Merkel totgesagte Multikulti in Duisburg weiterhin angesagt ist. Er thematisierte Beziehungsstreit mit der Freundin auf deutsch, englisch und türkisch. Liebe, Beziehung und Sehnsüchte waren die dominierenden Themen des Abends, mal aus der Sicht eines Teenagers, einer Hausfrau oder der jungen Frau, welche die nervigen Gedichte des Partners letztlich doch zu schätzen lernt.

Die verdiente Siegerin war die Schauspielerin Sandra Nadine Müller. Sie präsentierte gekonnt und anschaulich, aber nicht ganz jugendfrei — weil mit Fäkalsprache und Flüchen gespickt — ihre Gedankengänge bei ihrer schmerzhaften Augen-Laseroperation. Als Einzige bekam sie von der Jury die Höchstpunktzahl. Publikum und Mitstreiter feierten ihren Auftritt mit donnerndem Applaus. Gutscheine der Buchhandlung Maurer gab’s für die drei Besten.
Die Resonanz auf die Slam-Prämiere war durchweg positiv. „Es war eine super Veranstaltung und auch der Zulauf war super“, sagt Jurymitglied Julia Wieczorek. Die 19-jährige ist Azubi bei der Stadtbibliothek und ließ sich den Dichterwettstreit wie viele ihrer jungen Kollegen nicht entgehen.

Das Resümee von Initiatorin Britta Sester: „Ich bin total begeistert“ von den Slammern, den Darbietungen und dem Engagement der Mitarbeiter und Azubis. „Wir werden Poetry Slams in unserer Bibliothek nun regelmäßig veranstalten.“