Düsseldorf.

Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Sicher. Aber manchmal ist die Ausbildung tatsächlich so bitter, dass man sich wehren muss. Zwei Beispiele.

Vater hat’s gesagt, Opa hat’s gesagt: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre.“ Der Spruch ist alt, und die Botschaft ist klar: In der Ausbildung muss man einstecken können. Nur: Manchmal sind Lehrjahre so bitter, dass sich sogar Vater und Opa gewehrt hätten. Manchmal werden Lehrjahre zu Sklavenjahren und Chefs zu Meistern der Unterdrückung. Marie aus Herne und Stefan aus Essen (Namen geändert) haben das erlebt.

Wenn Marie heute von ihrer Lehre in einem Marler Hotel erzählt, wiederholt sie immer wieder zwei Wörter: „Hölle“ und „Psychoterror“. Ihr Terrorist war der Chef. Ein Mann, der mit Gläsern warf und „Scheiß-Azubis“ schrie. Einer, der Lehrlinge sogar vor den Gästen zur Sau machte. „Den Kollegen am Empfang hat er mal das Wort ,Vollidioten’ auf einen Zettel gekritzelt“, sagt Marie.

Aber die verbalen Ausfälle seien für die angehende Hotelfachfrau nicht das Schlimmste gewesen. „In Hotels und Gaststätten ist ein rauer Ton üblich, und Überstunden gehören zum Geschäft“, erzählt sie. Darüber rege sich kaum einer auf. Doch in diesem Hotel musste man die Menschlichkeit an der Rezeption abgeben.

Toiletten schrubben in Service-Kleidung

„Als der Chef das Haus übernahm, sollten viele Mitarbeiter neue Verträge unterschreiben. Stunden später wurden sie entlassen. Begründung: Ihr seid ja jetzt in der Probezeit.“ Marie musste in Service-Bekleidung die Toiletten schrubben oder alleine die Arbeitskraft von zwei Kollegen ersetzen: „Einmal sollte ich selber ein Drei-Gänge-Menü in der Küche zubereiten und zwischendurch die Gäste bedienen.“ Während sie schuftete, knechtete und schwitzte, stellte der Chef die Überweisungen für ihre „vermögenswirksamen Leistungen“ heimlich, still und leise ein. Marie fing sich ein Magengeschwür ein.

Ihre Geschichte trieft von Entgleisungen, Tiefschlägen und Ungeheuerlichkeiten. Wie zum Beispiel diese: „Zwei farbige Spülkräfte, die nicht offiziell angemeldet waren, schliefen auf Klappbetten in einer Umkleide im Keller.“

Marie hat das überstanden. Sie schloss sogar ihre Lehre ab, suchte dann aber das Weite. Heute arbeitet sie in einem Hotel in Herne. „Dort ist alles besser. Wir Mitarbeiter frühstücken sogar zusammen, und unsere jungen Chefs sind nicht sehr streng.“

„Streng“ ist ein zu harmloses Wort für den Meister von Stefan. Wenn Stefan an seine Ausbildung denkt, zwickt es ihm heute noch im Rücken. Denn seine Elektriker-Lehre bestand hauptsächlich aus Tragen. Er schleppte Abwasserpumpen herum, morgens, mittags und abends. Die große Kraftanstrengung begann En­de 2007 und endete im April 2010. Damals schmiss der Chef ihn raus, und Stefans Rücken war kaputt.

Kündigung nach der Kur

Ein Ende mit Ansage: „Ende 2008 wurden die Rückenschmerzen immer schlimmer, auch Spritzen halfen nicht mehr. Ich ließ mich dann in eine Kernspin-Tomografie-Röhre schieben. Diagnose: Bandscheibenvorfall. Ich wurde in eine Kurklinik überwiesen, aber der Chef rückte den Kurantrag, den ich ihm ge­schickt hatte, zwei Monate lang nicht raus. Er sagte nur: Du willst mich verarschen. Hast bloß keine Lust zum Arbeiten. Also kam ich zu spät in die Kur. Als ich danach wieder im Betrieb erschien, sollte ich nur noch Unkraut jäten und die Büros anstreichen.“ Dann kam die Kündigung. Heute ist Stefan Azubi in einem anderen Betrieb. Im Mai 2011 will er die Lehre abschließen.

Stefan und Marie haben auf eine Anzeige verzichtet, ihren Frust aber bei der DGB-Jugend geäußert. Die Gewerkschafter sammeln solche Er­zählungen, und sie stellen fest: Gerade im Hotel- und Gaststättengewerbe sind Lehrjahre keine Herrenjahre.

Stefans Fazit: „Ich hätte viel früher nein sagen sollen. Aber als Lehrling hält man ja eher die Klappe.“

Lieber ein Praktikum im Wunschbetrieb

Marie rät jedem, der einen Beruf erlernen will, erst mal in dem Wunschbetrieb ein Praktikum zu machen. „Dabei kann man schon erkennen, ob das Team dort in Ordnung ist.“ Marie glaubt, dass kleine, von Familien betriebene Restaurants und Hotels oft besser ausbilden als große, renommierte Häuser. „In einem Fünf-Sterne-Hotel ist der Chef oft unerreichbar.“