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Tausende Jugendliche müssen in die Warteschleife, weil sie keine Lehrstelle gefunden haben. Viele davon sind aber gar nicht reif für eine Ausbildung und müssen erst fit gemacht werden. Ein Erfahrungsbericht über die Mängel der Bewerber.

Sie haben Rachs Schule geschafft

Arbeitsvertrag für Tim. Der 29-Jährige hatte schon eine Kochlehre absolviert. Rach übernahm ihn deshalb direkt als Koch.
Arbeitsvertrag für Tim. Der 29-Jährige hatte schon eine Kochlehre absolviert. Rach übernahm ihn deshalb direkt als Koch.
Rena hat zwar noch keinen Vertrag von Rach. Allerdings darf sich die schwergewichtige Gelsenkirchenerin sechs weitere Monate als Praktikantin beweisen.
Rena hat zwar noch keinen Vertrag von Rach. Allerdings darf sich die schwergewichtige Gelsenkirchenerin sechs weitere Monate als Praktikantin beweisen.
Marco, 19, überzeugte Rach ebenfalls. Er erhielt eine Lehrstelle im Service.
Marco, 19, überzeugte Rach ebenfalls. Er erhielt eine Lehrstelle im Service.
Nourddine (17) muss sich wie Rena noch gedulden. Er darf zwar in der Küche des Slowman bleiben, eine Ausbildung hielt Rach jedoch noch für zu früh.
Nourddine (17) muss sich wie Rena noch gedulden. Er darf zwar in der Küche des Slowman bleiben, eine Ausbildung hielt Rach jedoch noch für zu früh.
Auch Nina (18) hat´s geschafft. Rach bot ihr eine verkürzte Ausbildung an, so dass sie sich auch um ihr Kind kümmern kann.
Auch Nina (18) hat´s geschafft. Rach bot ihr eine verkürzte Ausbildung an, so dass sie sich auch um ihr Kind kümmern kann.
Jonny (18) darf seine Ausbildung im Service weitermachen.
Jonny (18) darf seine Ausbildung im Service weitermachen.
Jasmina (22) war Rachs
Jasmina (22) war Rachs "einfachste Entscheidung". Sie bekam eine Ausbildungsstelle zur Restaurantkauffrau.
Can (17) aus Esslingen. Der Sunnyboy erhielt einen Ausbildungsplatz als Koch. Völlig
Can (17) aus Esslingen. Der Sunnyboy erhielt einen Ausbildungsplatz als Koch. Völlig "verdient", wie Rach meinte.
Angelika (45) aus Solingen, Kuscheltierfan, darf eine betriebsinterne Ausbildung in der Küche machen. Auf die Berufsschule muss sie nicht mehr.
Angelika (45) aus Solingen, Kuscheltierfan, darf eine betriebsinterne Ausbildung in der Küche machen. Auf die Berufsschule muss sie nicht mehr.
Die Aussteiger: Jennifer (17) aus Heinsberg wurde von Christian Rach vorzeitig nach Hause geschickt. Sie war noch zu jung für eine Ausbildung.
Die Aussteiger: Jennifer (17) aus Heinsberg wurde von Christian Rach vorzeitig nach Hause geschickt. Sie war noch zu jung für eine Ausbildung.
Collin (27) musste ebenfalls gehen. Seine Unpünktlichkeit und seine Unzuverlässigkeit brachten Rach auf die Palme.
Collin (27) musste ebenfalls gehen. Seine Unpünktlichkeit und seine Unzuverlässigkeit brachten Rach auf die Palme.
Paul (18) aus Köln. Er warf in der vorletzen Folge hin, weil er den körperlichen Strapazen in der Küche nicht gewachsen war.
Paul (18) aus Köln. Er warf in der vorletzen Folge hin, weil er den körperlichen Strapazen in der Küche nicht gewachsen war.
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Sie konnten beim ersten Eignungstest Sellerie von Brokkoli nicht unterscheiden, wussten nicht, an welchem Fluss Frankfurt am Main liegt und auch beim kurzen Diktat und den Textaufgaben haperte es gewaltig. Doch Fernsehkoch Christian Rach gab den zwölf vermeintlich hoffnungslosen Fällen dennoch die Chance zu einer Ausbildung.

Woche für Woche erlebte ein Millionenpublikum, wie die Kandidaten von „Rachs Restaurantschule“ den Sternekoch mit ihrem Unwissen, ihrer Unbeholfenheit und ihrer Motivationslosigkeit schier zur Verzweiflung brachten. Der Zuschauer fragte sich: Sind viele Jugendliche wirklich nicht reif für eine Ausbildung? Oder ist dies alles medial übertrieben?

Keineswegs, meinen Birgit Kauffeldt, Thomas Schürmann und Marcus Kuck. All das sei ihnen in ihrer täglichen Arbeit nicht fremd. Und sie müssen es wissen. Die drei sind Bildungsbegleiter bei der Deutschen Angestellen-Akademie (DAA) in Oberhausen, einer Weiterbildungseinrichtung, wo Jugendliche ohne Lehrstelle für eine Ausbildung fit gemacht werden. Gefördert wird die einjährige Berufsvorbereitung von den Arbeitsagenturen.

Jährlich landen tausende Jugendliche ohne Lehre in solchen Fördermaßnahmen. In diesem Ausbildungsjahr waren es in NRW fast 11.000, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben und in eine solche Warteschleife müssen. Darunter sind viele, denen das Rüstzeug für eine Lehre noch fehlt oder die aus anderen Gründen bei den Unternehmen abblitzen. Die IHK Essen schätzt, dass jeder fünfte Bewerber Defizite hat und nicht sofort ausbildungsreif ist.

Ohne Motivation und Lernwillen

Da ist zum Beispiel der Fall der 22-jährigen Franziska. Lange Zeit war der jungen Frau der Job in der Disco wichtiger als Schule und Ausbildung. Die Klasse 11 und 12 musste sie wiederholen. Zur Fachhochschulreife brachte sie es, doch die Noten, vor allem in Englisch, sind „nicht so gut“. Zwei Jahre und 200 Bewerbungen später ist Franziska nun beim DAA in Oberhausen gelandet. Sie weiß, es könnte ihre letzte Chance sein, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. „Ich bin kein faules Mädchen. Ich kann arbeiten“, beteuert Franziska, deren Wunschberuf Bürokauffrau ist. Dennoch sehen Arbeitgeber zuerst ihr Zeugnis und ihren Lebenslauf.

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Jungen Leuten wie Franziska bleibt schließlich oft nur die Hoffnung, dass sie durch ein Praktikum punkten können. Zwei Pflichtpraktika gehören deshalb zum Programm beim DAA. Doch nicht alle der 63 Teilnehmer in Oberhausen haben wie Franziska den Ernst der Lage verstanden und wollen ihr Leben in den Griff bekommen. Bildungsbegleiter Thomas Schürmann berichtet von Motivationslosigkeit und Schulmüdigkeit. „Je länger sie aus der Schule raus sind, umso schwerer fällt ihnen die Zeit bei uns.“

7.30 Uhr Schulbeginn, Unterricht bis 16 Uhr, fünf Tage die Woche. Das fällt vielen nicht leicht. Sabrina (20) saß nach dem Schulabbruch fast ein Jahr zu Hause. Es war schwer für sie, sich wieder an das frühe Aufstehen und den regelmäßigen Schulbesuch zu gewöhnen. „Aber es ist gut so“, sagt sie.

Pünktlichkeit und Respekt - Fehlanzeige

Das größte Problem, mit dem Schürmann und Kollegen kämpfen, ist die Pünktlichkeit. Was vielen im Berufsleben selbstverständlich scheint, müssen einige junge Erwachsene erst lernen. Jedes Jahr gibt es deshalb Fälle, in denen Teilnehmer aus dem Kurs fliegen, weil sie sich nicht an Regeln wie Pünktlichkeit und Disziplin halten. Schürmann vermisst zudem häufig den Leistungswillen und den Respekt. „Der Umgang mit Erwachsenen ist relativ lasch“, sagt Schürmann.

Der Mangel an sozialen Kompetenzen trifft zudem oft auf fehlendes Wissen. Birgit Kauffeldt bestätigt: Die Leistungen der Teilnehmer sind in den vergangenen Jahren immer schlechter geworden. Das würden die Eingangstests zu Beginn eines jeden Kurses zeigen. Deutsch, Mathe, Allgemeinbildung - bei so manchem hapert es schon am Einfachsten. Schürmann erzählt von einem Fall, als ein junger Mann noch nicht einmal seine Wohnstraße richtig schreiben konnte. Hinzu kommen laut Kauffeldt „ganz starke Defizite“ in den Grundrechenarten. Kopfrechnen ist häufig Fehlanzeige.

Auffällig auch: Viele Teilnehmer können kaum vernünftig kommunizieren. Der SMS-Stil des Handys beherrscht den Alltag. Oft müssen die Ausbilder deshalb ermahnen: „Bilden Sie ganze Sätze!“ Die neuen Medien prägen das Leben, wie auch diese Situation zeigte: Als man einem Jugendlichen einen Atlas vorlegte, fragte er verdutzt: „Was ist das?“ In Zeiten von „Google Maps“ und Navigationsgeräten vielleicht bald Normalzustand.

Flexibilität ist wichtig

Schürmann und seine Kollegen wollen jedoch bewusst nicht als Lehrer auftreten. „Wir können die Defizite nicht komplett ausbügeln.“ Ihnen geht es vielmehr darum, die jungen Menschen an das Arbeitsleben heranzuführen. In vielen Fällen mit Erfolg: 70 bis 80 Prozent eines Jahrgangs bekommen nach dem Berufsvorbereitungsjahr beim DAA eine Ausbildung. Nicht jeder zwar in seinem Wunschberuf, aber auch das gehört zum Lernprozess dazu, nämlich flexibel zu sein.

Rach zog nach seinem Ausbildungsexperiment im Interview mit DerWesten das Fazit: „Die Anstrengungen, die ich auch als Unternehmer hinnehmen musste, waren schon enorm, jeden in seiner Individualität vorsichtig an ein geregeltes Arbeitsleben heranzuführen.“ Eine Erfahrung, die auch Thomas Schürmann, Birgit Kauffeldt und Marcus Kuck teilen.