Berlin. .
Die neue Ausgabe des „Supertalent“ bewies: Dieter Bohlens Castingshow ist weniger Ärgernis als Trauerspiel. Die echten Talente werden von Kandidaten überschattet, die vor allem eines zur Schau stellen: ihre Verzweiflung.
Sind manche Menschen verrückt, weil sie einsam sind, oder einsam, weil sie verrückt sind? An dieser Frage kommt man beim Schauen von „Das Supertalent“ nicht vorbei. Von zehn Kandidaten in dieser Sendung wirken fünf, als würden sie in der U-Bahn mit sich selbst sprechen, Stimmen aus der Steckdose hören oder an Verschwörungstheorien glauben. Das ist leider nicht so witzig, wie es sich anhört. In Wirklichkeit ist einem bei vielen dieser Menschen gar nicht zum Lachen zumute.
Es mag an Vorbildern wie Guildo Horn, Daniela Katzenberger oder Daniel Küblböck liegen, dass sich bei der Casting-Generation ein grundlegendes Missverständnis ausgebildet hat – die Vorstellung nämlich, dass man die eigene Seltsamkeit im TV zu etwas Kultigem umdeuten kann. Dieses Missverständnis erklärt die irrwitzige Quote von Freaks in den Vorrunden von Castingshows.
Liebeslieder in Pseudo-Kinski-Manier
Diese Teilnehmer glauben nicht, dass sie „gut“ sind, sondern auf irgendeine Art „schräg“. Die Idee ist vermutlich, dass in irgendeinem Promi-Dinner oder Dschungelcamp noch Platz ist. Anders ausgedrückt, besser Trash-Ikone als völlig unbekannt. Diese (ohnehin traurige) Umdeutung funktioniert natürlich so gut wie nie. In den meisten Fällen gehen die Kandidaten erst recht mit dem Loser-Stempel von der Bühne.
Manche im „Supertalent“ scheint das nicht zu stören. Da wäre zum Beispiel der „Musikproduzent“ Marc, der sein Leben als einzige Erfolgsstory beschreibt und Liebeslieder in Pseudo-Kinski-Manier singt. Oder der „Disco Analyser“, ein selbst ernannter Vortänzer, dessen Traum darin zu bestehen scheint, in der Großraumdisco als Depp-de-Jour rumgereicht zu werden oder generell als „der verrückte Typ aus dem Fernsehen“ zu gelten.
Wirklich begabte Kandidaten gehen unter
Es sind Wünsche wie diese, die die große Traurigkeit der meisten Castingshows, und besonders die des „Supertalents“, ausmachen. Hinzu kommt, dass die wirklich begabten Kandidaten inmitten dieser tragischen Freakshow untergehen. Da wäre zum Beispiel der Sportstudent im Metallrad, dessen Artistik im Cirque du Soleil nicht fehl am Platz wäre. Oder das Teenager-Mädchen mit der Opernstimme. Beide bringen das Ausnahmetalent mit, um das es in dieser Sendung angeblich geht; in der Gesamtschau wirkt es allerdings, als würde man jemand wie Jon Stewart oder Harald Schmidt gemeinsam mit Mario Barth oder Ingo Appelt im „Quatsch Comedy Club“ auftreten lassen.
Machen wir uns nichts vor: Das Schulhofgespräch am nächsten Tag ist der Sprachfehler des „Disco Analyser“, bei Facebook wird der Clip mit der verrückten Tierstimmenimitatorin weitergereicht oder der Gesang des verwirrten Kinski-Doubles. An den erstaunlichen Tänzer ohne Gehör oder das Opernmädchen wird man sich kaum erinnern. Und das liegt nicht an ihrem Mangel an Talent. Traurig, das Ganze.