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Mit Stefan Chonés Auftritt als „Flug-Ente“ erreichte das RTL-“Supertalent“ am Samstag einen neuen Tiefpunkt in der Geschichte der TV-Unterhaltung. Ansonsten sahen die Juroren Bohlen, van der Vaart und Darnell eine Mischung aus Absurdem, Action und Gefühl.

Keiner wollte ihn sehen, doch er kam trotzdem wieder: Stefan Choné zeigte sich bei „Das Supertalent“ erneut von seiner schmerzfreien Seite. Doch auch mit einem Striptease im Ventilator-Sturm vergraulte er die Jury um Bruce Darnell, Sylvie van der Vaart und Dieter Bohlen sowie das johlende Publikum. Die Zuschauer drehten ihm aus Protest den Rücken zu. Einer musste Dieter Bohlen sogar zu Hilfe eilen und den Aus-Knopf für den Jury-Vorsitzenden drücken. Der Jury-Vorsitzende Bohlen konnte den Knopf nämlich nicht mehr erreichen. Mit seinen Händen schützte er seine Augen vor dem Anblick des 55-jährigen Braunschweigers. Ein arg inszeniertes Entsetzen.

Masochistischer Wille

Allein schon der schmal geschnittene Schnauzbart – Dieter Bohlen: „Du bist eine Mischung aus Schweinchen Blöd und Adolf Hitler.“ – war als erste Geschmacklosigkeit im Vorfeld des Auftritts von „Aktionskünstler“ Choné zu sehen. Den Rest verbarg er zunächst noch unter einem blauen Sturzhelm und einem Blaumann. „Flugente“, so hieß seine neueste Darbietung, wollte er dem Publikum schenken. Mit wilden Verrenkungen, Kopfschütteln und Striptease zeigte der 55-Jährige, was er drauf hat: Engelsflügel gepaart mit Fettleibigkeit und einem verrutschten – und zum Glück von RTL gepixelten – Stringtanga. Erwähnenswert ist auch noch der unbändige, aber ebenso offensichtlich masochistische Wille, sich vor dem Publikum zum Vollhorst zu machen. Es wendete sich mit Grausen ab. Trotzdem wird Choné wohl im ein oder anderen Smalltalk am Montagmorgen Gesprächsthema sein. Diese Aufmerksamkeit hat er sich mit dem Preis der Lächerlichkeit erarbeitet.

Zum Glück gibt es Leute wie Choné, müssen sich die RTL-Macher gedacht haben. Beim Publikum die Begierde nach Schadenfreude zu stillen, scheint auch beim Sendeformat „Das Supertalent“ der Quotenbringer zu sein. Schließlich sparte sich der Sender den Auftritt des Braunschweigers als finalen Höhepunkt der samstäglichen Show auf. Mit dem gleichen Kalkül gaben sie den ersten Teilnehmer der Lächerlichkeit zu preis. Der 58-jährige Wolfgang Tillich aus einem 2500-Seelen-Örtchen war angetreten, um die Jury mit seinem „Songdancing“ zu überzeugen. Zu einem deutschen Schlager tanzte er ungelenk eine Mischung aus Schuhplattler und Karate-Kid-Bewegungen. „Hihi, du hast dich jetzt ganz schön blamiert“, kommentierte Sylvie van der Vaart den Auftritt. Tillich konnte dies kaum glauben. Schließlich hatten ihm einige Jugendliche in der Dorfdisko doch versichert, er sei ein begabter Tänzer. Das sah die Jury anders und schickte ihn wenig überraschend nach Hause.

Ein Bruce Darnell reicht

Abgesehen von den wohl kalkulierten Auftritten, die der Schadenfreude Tür und Tor öffneten, gab es in der Samstagshow auch wirklich sehenswerte Talente. Der achtjährige Daniele etwa wurde Bohlen sogleich sympathisch, als er erzählte, gleich zwei Freundinnen auf einmal zu haben. Doch auch mit seiner sehenswerten Michael-Jackson-Tanzeinlage traf er den Nerv des Jurors und überzeugte sogleich die gesamte Jury. Ein schlechtes Bild gab die Regie ab. Die aufwändigen Tanzbewegungen waren nur unzureichend von den Kameras eingefangen worden.

Nicht durchsetzen konnte sich Volker Hack, der als Bruce-Darnell-Double für erstaunte Blicke sorgte. Der 44-jährige Schwabe imitierte das Jurymitglied äußerlich ziemlich eindrucksvoll und zeigte sich ähnlich wortgewandt. Für ein Weiterkommen reichte diese Parodie jedoch nicht aus.

Überzeugender wirkte dagegen der Auftritt einer ukrainischen Akrobaten-Truppe, die in ihren Lederklamotten wohl ohne weiteres Zugang zur nächsten Bandidos-Party bekommen würde. Ob sie mit ihren mannshohen aufgeblasenen Luftkringeln für die Kinderbespaßung junger Rocker zuständig gewesen wären, sei nur mal dahin gestellt. Jedenfalls zeigten sie mit ihrer Akrobatik-Show Salti ohne Ende und das alles auf den riesigen Luftreifen. „Das nächstes Mal werden die Stunts noch gefährlicher“, kündigte die Gruppe an.

Zeit für Schadenfreude

Kurz danach war wieder Zeit für Schadenfreude. Die Jury untergrub von Anfang an die Fakir-Darbietung eines 23-Jährigen. Mit zerdepperten Scherben wollte er seine Leidensfähigkeit unter Beweis stellen. Das rang der Jury nur ein müdes Gähnen ab. Sylvie van der Vaart stellte sich selbst barfuss auf die kaputten Flaschen, um zu zeigen: „Das hier ist langweilig.“ Sie wollte mehr Action und eine Verletzung des Supertalent-Kandidaten „Ich will Blut sehen!“, sagte die Fußballprofi-Gattin.

Dagegen herrschte beim Auftritt von der an Multiple Sklerose erkrankten Manuela Wirth kollektive Ergriffenheit. Trotz ihrer Krankheit wagte sich die an den Rollstuhl gefesselte Frau auf die Bühne und sang mit klarer, kräftiger Stimme. Die Jury und das Publikum waren gerührt und quittierten den Auftritt mit stehenden Ovationen.

Ähnlich begeistert waren die Zuschauer von Kai Leclerc, der kopfüber Akrobatik vom Feinsten bot. Er muss starke Magneten in seinen Schuhsohlen gehabt haben. Anders lässt sich eine solche Nummer wohl kaum bewerkstelligen. Jonglage und vieles mehr machte er verkehrt herum. Ein sehenswertes Glanzlicht.

Sopran-Tenor beeindruckte

Zu hören gab es auch noch Erstaunliches: Einen echten Sopran-Tenor. Als solcher muss Freddy Sahin-Scholl wohl eingestuft werden. Der 57-Jährige hat trotz Stimmbruch weiterhin die Möglichkeit, hohe Tonlagen zu treffen. Gepaart mit seiner kräftigen Tenorstimme bot er seine Eigenkomposition „Carpe diem“ dem Publikum dar. Ein gesangliches Duett mit sich selbst. Dass er sich ein derartiges Können selbst erarbeitet hat, verblüffte nicht nur Dieter Bohlen, sondern sorgte wiederum für stehende Ovationen. Der eindrucksvollste Auftritt des Abends.

Zu guter Letzt gab es mit der Stangen-Akrobatik von Jeannine noch etwas für’s Auge. Mit eiserner Kraft und präziser Akrobatik überzeugte die Artistin letztlich die Jury. Van der Vaart hatte Bedenken, die Aufführung nicht noch einmal sehen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt ahnten Bohlen, Darnell und van der Vaart wohl noch nicht, dass Flugente Choné bereits im Anflug auf die Superstar-Bühne war. Sonst hätten sie mit ihrer Entscheidung wohl nicht so lange gezögert.