Essen.
Das RTL-„Supertalent“ war am Samstagabend wieder ein Quotenrenner im TV. Die Bohlen-Show lebt vom Scheitern und macht das gleichzeitig gesendete biedere „Wetten, dass...?“ zum Anschauungsunterricht in Sachen Menschenwürde.
Vielleicht ist es ja sogar von RTL zu viel verlangt, jedes Wochenende eine Frau zu präsentieren, die mit Basketball großen Brüsten Bierdosen kaputtdrischt oder einen Kerl, der mit dem Pinsel zwischen seinen Beinen Portraits malt. Auf der nach unten offenen Geschmacksskala ist der Sender stets kreativ geblieben, die Lust aufs Primitive zahlt sich in üppigen Quoten aus. Selbst den Entrüsteten geht langsam die Kraft aus: Was will man auch noch über ein Fernsehpublikum sagen, das selbst Mario Barth lustig findet?
Gemessen daran hat RTL die Suche nach dem „Supertalent“ am Samstag beinahe artig fortgesetzt. Mit den unterirdischen Auftritten vom ersten Wochenende waren die Zuschauer angefixt genug, um wieder einzuschalten. Und vor allem die Jüngeren drehten der etwas altbacken daherkommenden Konkurrenz im ZDF vermutlich die Nase: „Wetten, dass...“ musste sich mit 9,85 Millionen Anhängern begnügen, lag allerdings immerhin doch noch deutlich vor dem „Supertalent“: 7,19 Millionen Apparate waren eingeschaltet. Sollen wir’s tröstlich finden?
Versager werden durch den Ring getrieben
Scheint, als ob es selbst der gackernden Michelle Hunziker nicht gelingen kann, der großen Masse die Lust auf den Mix aus Plauderei und biederen Wettspielchen auszutreiben. Bei Gottschalk freilich werden die Versager höflich verabschiedet, bei Bohlen werden sie mit dem Ring durch die Nase über die Bühne geschleift. Was sie an Würde noch nicht an der Garderobe abgegeben haben, wird von der johlenden Meute samt der drei Jury-Vorturner zerbröselt. Die Show lebt schließlich vom Scheitern. Weil Schadenfreude bei vielen die letzten Fremdschäm-Reflexe eliminiert, funktioniert das Prinzip immer und immer wieder.
Im ungezügelten Brot-und-Spiele-Panoptikum weicht der Beschützerinstinkt gern der „Selber schuld“-Haltung. Will man in einer Welt, die den Exhibitionismus täglich an allen Fronten pflegt, von einem dicken Mann mit fettigen Haaren im weißen Tangahöschen noch wissen, warum er sich den Leuten zum Fraß vorwirft? Oder von einem, sagen wir, von der Natur vernachlässigten Michael-Jackson-Imitator, der sich in einem besonders widerlichen Augenblick von Dieter Bohlen fragen lassen muss, ob er eigentlich eine Maske trägt?
41.000 Bewerber wollten sich von Dieter Bohlen vorführen lassen
Es gibt keinen Grund, menschenverachtende Schredderei zu verteidigen, die nichts andere im Sinn hat, als niedere Instinkte zu bedienen. Aber wer zu Dieter Bohlen geht, weiß, dass er nicht auf Johannes B. Kerner trifft. 41.000 Menschen haben sich in diesem Jahr für die Show beworben. Neben denen, die in der Tat Pfiffiges zu bieten haben wie ein Allesschlucker, der alles wieder zum Vorschein bringt, Sängern, die’s können oder talentierten Artisten, viele, die sich für ein paar Minuten Aufmerksamkeit und eine Handvoll Euro prostituieren.
Ungeliebte Stars
Da muss man kein Kulturpessimist sein, um sich Sorgen zu machen.