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Hart aber fair geht es im Streit um Stuttgart 21 längst nicht mehr zu. Die Gegner sind in einer Sackgasse – daran ändert auch der Schlichtungsversuch der Landesregierung nichts. Warum, das wurde in der Talkrunde von Frank Plasberg deutlich.
Hart aber fair geht es im Streit um Stuttgart 21 schon längst nicht mehr zu. Die gegenseitigen Verletzungen von Gegnern und Befürwortern des Bahnhofsumbaus gehen mittlerweile zu tief. Die Fronten bleiben verhärtet – trotz des jüngsten Versuchs des Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus, die eskalierende Situation zu entschärfen. Das wurde auch in der gestrigen Talkrunde von Frank Plasberg deutlich.
Einig war sich die um Sachlichkeit bemühte Runde nur im Erschrecken darüber, welches Ausmaß der Konflikt mittlerweile angenommen hat, welche Gewaltausbrüche er nach sich zieht. „Bürger gegen Politiker – wie viel Aufstand verträgt die Demokratie?“ lautete die Frage des Abends – man hätte sie auch anders stellen können. Wieviel Kompromissbereitschaft benötigt eine Demokratie? Tanja Gönner, Verkehrs- und Umweltministerin, betonte zu Anfang der Sendung sogleich den neuen Kurs der Landesregierung: Man wolle mit den Gegnern des Projektes über die weitere Ausgestaltung des Projektes reden – unter Vermittlung des CDU-Politikers Heiner Geißler. Solange könnten die Arbeiten ruhen. Eine Rücknahme des Projekts sei allerdings nicht verhandelbar. Wenn aber nicht auch diese Option verhandelt werde, unterstrich Grünen-Chef Cem Özdemir, dann hätten die Gespräche für die S21-Gegner wenig Sinn – „die fühlen sich dann doch nicht ernst genommen“.
Heiner Geißler wird wenig ausrichten können
Der Journalist und Politikberater Michael Spreng fasste es klarsichtig zusammen: Da stehen sich beide Seiten weiterhin auf unvereinbaren Positionen gegenüber – bleibt es dabei, wird auch der Vermittler Heiner Geißler wenig ausrichten können – außer die Wogen zu glätten und wieder eine Kommunikation herzustellen. Dass es daran in der Vergangenheit extrem gehapert hat, das gaben sowohl Ministerin Gönner zu als auch der Vize-Fraktionschef der FDP und verkehrspolitische Sprecher seiner Partei, Patrick Döring.
Das Projekt wurde zu wenig erklärt – ein grundsätzliches Defizit der Politik in diesen Tagen: Die Welt ist komplizierter geworden, die Entscheidungen der Politik verlangen den Bürgern Opfer ab. Umso wichtiger wäre also, für diese Entscheidungen zu werben, die Wähler davon zu überzeugen. Daran hapert es: Gerade, wenn Politik unpopuläre Maßnahmen zu verantworten hat, muss es transparent zugehen. Wenn dies nicht der Fall zu sein schein, – und beim Thema S21 war das ganz offensichtlich so – dann wird das Misstrauen der Wähler provoziert. Und nun ist das Misstrauen in Wut umgekippt.
Seit über 15 Jahren wird über Stuttgart 21 debattiert
Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite vertrat der Liberale Döring mit Vehemenz und durchaus überzeugend: Er betonte, das Projekt S21 sei in einem seit über 15 Jahre dauernden Planfeststellungsverfahren debattiert worden. Es gab Dutzende Bürgeranhörungen, es seien über 60 Planungsvarianten diskutiert und von Dutzenden Ingenieurbüros geprüft und berechnet worden. Es habe etliche Gerichtsverfahren gegeben, die das jetzige Bahnprojekt juristisch auf die Gleise geschoben haben. Es könne nicht angehen, dass am Tag X, wenn es konkret wird und Missmut laut wird, all das wieder über den Haufen geworfen wird. Dann gebe es für Investitionen dieser Größenordnung keine Rechtssicherheit mehr – und dann werde niemand mehr in Deutschland ein Großprojekt mehr in Angriff nehmen. Auch dies eine erschreckende Vorstellung, die allerdings – betrachtet man den Widerstand, den es mittlerweile gegen fast jede größere Infrastrukturmaßnahme in der Republik gibt – nicht weit hergeholt scheint. Es müsse weiterhin der Grundsatz gelten, dass Verträge einzuhalten sind.
Cem Özdemir setzte dem entgegen, dass es möglich sein müsse, Verträge nachträglich neu zu verhandeln, wenn sich die Grundlagen, auf denen sie geschlossen wurden, völlig verändert hätten. Bei S21 beispielsweise die geplante Höhe der Investitionen. Werde Stuttgart 21 umgesetzt, fehle es der Bahn an Geld für andere wichtige Projekt Etwa beim Erhalt des Nahverkehrs in der Fläche – was für viele Pendler entscheidender sei als die Fernverbindung Stuttgart-München. Allerdings musst auch Özdemir einräumen, dass seine Partei S21 kaum noch stoppen könne, wenn der Rückbau teurer werde als der Neubau.
S21 zu stoppen wäre schlicht zu teuer
Tatsächlich wird das wohl auch das wahrscheinlichste Ergebnis einer Schlichtung zwischen Gegnern und Befürwortern sein: S21 zu stoppen wäre schlicht zu teuer – und Heiner Geißler wird dafür sorgen müssen, dass diese Erkenntnis irgendwie akzeptiert wird. Das allerdings wird wohl erst nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg gelingen. Denn längst ist der Streit um S21 zum Wahlkampfthema geworden: Die Proteste könnten zu empfindlichen Stimmenverlusten für CDU und FDP in Baden-Württemberg führen – und dann wäre auch die Kanzlerin stark beschädigt, die sich öffentlich zu S21 bekannt hat. Der Abriss des Bahnhofs wird auch Schwarz-Gelb in Berlin demolieren. Der Opposition kommt das natürlich nicht ungelegen. Und so ist der Bürgerprotest zum Vehikel im bundespolitischen Machtkampf geworden. Auch das wirkt keinesfalls vertrauensbildend.