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Deutschland einig Nörgelland? In Frank Plasbergs Polittalk ging es vor allen Dingen um ostdeutsche Lebensläufe und die Frage, warum man die Vereinigung nicht genutzt hat, um auch im Westen verkrustete Strukturen zu verändern.
20 Jahre Einheit – Deutschland einig Nörgelland, klingt als Titel für einen Polittalk schmissig. Trifft aber nicht, wie die gestrige, angenehm inspirierte „Hart aber fair“-Runde bei Moderator Frank Plasberg zeigte. Denn in Wahrheit geht es gar nicht um Genörgel, sondern um objektive Fehlentwicklungen einerseits und um Wahrnehmung von Geschichte und Biografien andererseits.
Wenn etwa die Schauspielerin Saskia Valencia oder Fußballtrainer Hans Meyer über ihr Leben in der DDR berichten, dann überwiegt die Erinnerung an die „behütete Kindheit“, an die Familie, die Freunde. Und da beginnt bereits das Dilemma der Ost-Biografien: Der ehemalige Bürger der DDR, der sich dazu bekennt, er habe im real existierenden Sozialismus ein zufriedenes Leben geführt, geriet und gerät auch heute häufig noch in Rechtfertigungszwang und in die Defensive gegenüber demjenigen mit der Gnade der westlichen Geburt. Denn die heutige Geschichte führt die DDR offiziell unter der Chiffre Unrechtsstaat, wie der Journalist und Buchautor Michael Jürgs in der Runde zu dem Thema anmerkte.
Ostdeutsche fühlten sich noch immer als Bürger zweiter Klasse
Dieser Unrechtsstaat war zwar auch Realität, aber eben keine die im Alltag zwingend so wahrgenommen wurde, wie Meyer betonte. Natürlich wusste man um die zersetzende Wirkung der Stasi, spürte die Zwänge des Reiseverbotes, kannte die Regeln, die es einzuhalten galt, um nicht anzuecken. Aber das persönliche Glück war davon nur in Ausnahmefällen betroffen. Dass sich also die Ostdeutschen noch immer als Bürger zweiter Klasse fühlen, wie jüngste Umfragen ergeben haben, hängt eng mit diesem Ringen um die Legitimität der eigenen Biografie zusammen.
Gerade ältere Menschen erlebten – nach der ersten Freude über den Fall der Mauer und das Ende der DDR – die Wiedervereinigung als totalen Bruch des eigenen Lebenslaufes. Das meiste von dem, was an beruflicher Karriere, Know-how, Lebenserfahrung angesammelt worden war, landete auf dem Müllhaufen der Geschichte. Eine solche radikale Kehrtwende sei beinahe beispiellos und ein unglaublicher Kraftakt, so der frühere Ministerpräsident Sachsens, Kurt Biedenkopf (CDU). Quasi von einem Tag auf den anderen änderten sich nicht nur wirtschaftliche und politische Grundlagen. Auch der Alltag – von der Krankenversicherung, über das Wohnungswesen bis hin zu den Verkehrsregeln – wurde von Grund auf umgekrempelt – und zwar ohne Diskussion.
Es war keine Vereinigung, sondern ein Beitritt
Und das ist, neben dem Ringen um die eigene Biografie, der zweite Hauptgrund, warum sich der Osten heute mitunter schwer tut, die Einheit aus vollem Herzen zu feiern: Es war keine Vereinigung, sondern ein Beitritt. Der Linken-Frontmann Gregor Gysi erläuterte dies in der Sendung sehr anschaulich. Es gab, so Gysi, zwei Wege, die Einheit herbeizuführen: Nach Artikel 23 des Grundgesetzes in Form eines Beitritts oder nach Artikel 146 als Vereinigung.
Eine Vereinigung hätte eine neue Verfassung vorausgesetzt, die in beiden Teilen Deutschlands per Volksentscheid hätte verabschiedet werden müssen. Man entschied sich für den Beitritt. Die Vereinigung wäre so gewesen wie ein Paar, das zusammen in eine neue Wohnung zieht: Da müssen gemeinsam neue Tapeten und Regeln gefunden werden, wer den Müll ´runterträgt, so Gysi. Das bedeutet Gleichberechtigung in dieser Wohnung. Der Beitritt wiederum sei so gewesen, wie der Einzug des einen in die Wohnung des anderen, wo bereits alle Tapeten und Möbel drin stehen. Da hat natürlich der Hausherr (alt) im wesentlichen das Sagen. Natürlich hätte eine Vereinigung auf Basis einer neuen Verfassung das Selbstverständnis der Ostdeutschen deutlich gehoben. Während der Beitritt zur Folge hatte, dass sich für die Westdeutschen gar nichts änderte – und die Ossis sich anpassen mussten und das auch so empfanden, meint Gysi.
Vor allem die Kommunen im Ruhrgebiet stöhnen unter der Last des Solidarpakets
Der frühere SPD-Fraktionschef Peter Struck und Biedenkopf schoben allerdings solchen Überlegungen rasch einen Riegel vor: Es habe nicht genügend Zeit gegeben für eine Vereinigung, das hätte zwei Jahre gedauert. Aber erstens seien die DDR-Bürger zu diesem Zeitpunkt bereits in Scharen in die Bundesrepublik gekommen – die schnelle Einheit schien geboten. Und zweitens habe man handeln müssen, solange in Moskau noch Michael Gorbatschow die Geschicke lenkte, der die deutsche Einheit befürwortete. Er geriet zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits innenpolitisch unter Druck und die deutsche Regierung befürchtete einen Putsch in Moskau
Dennoch: Die schnelle Einheit per Beitritt mag eine Notwendigkeit gewesen sein. Dass man allerdings die historische Wende nicht genutzt hat, um auch die verkrustete Bundesrepublik gründlich auf Vordermann zu bringen, war eines der größten Mankos der jüngeren Geschichte. Viel zu kritiklos wurde der westdeutsche Hang zur Überregulierung, zum juristischen Kleinklein, die überbordende Verwaltung, der Hang zum politischen Minimalkonsens auf die neuen Länder übertragen. Auch das hat letztlich den Aufbau Ost ausgebremst – aber auch den Westen, der unter Helmut Kohl in vielen Bereichen in einen Reformstau geriet, der erst jetzt aufgelöst zu sein scheint. Und nur allmählich haben sich dann im Gegenzug auch ostdeutsche Errungenschaften ihren Weg in den Westen gebahnt: wie ärztliche Gemeinschaftspraxen, die dichte Struktur der Kita-Betreuung, die verkürzte Schulausbildung.
Nach 20 Jahren der Einheit hat sich für den Westen dann doch noch etwas geändert: Vor allem die Kommunen im Ruhrgebiet stöhnen unter der Last des Solidarpakets. Und auch dies ist kein grundloses Genörgel: Es ist tatsächlich widersinnig, dass Pleitekommunen in NRW noch für ostdeutsche Kommunen aufkommen müssen. Zumindest in diesem Bereich haben sich die Verhältnisse in Ost und West angeglichen.