Stuttgart. .
Nach den Ausschreitungen am Donnerstag blieb es am Freitag bei den Protesten gegen Stuttgart 21 friedlich. Wieder zogen Zehntausende durch die Stadt und forderten den Rücktritt des Minsterpräsidenten.
Die Trillerpeifen gellen durch die Stuttgarter Nacht, Menschen tanzen zu Trommelrhythmen und der Musik von Blaskapellen auf den Straßen: Nur einen Tag nach der gewalttätigen Eskalation im Streit über das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ protestieren am späten Freitagabend in der baden-württembergischen Landeshauptstadt zehntausende Demonstranten friedlich gegen das Vorhaben. Zunehmend richtet sich der Protest der Bürger dabei gegen Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU). Aus der Menge schallt es „Mappus muss weg!“, „Schämt Euch!“ und „Lügenpack!“
Im Schlossgarten, dem Ausgangspunkt der Kundgebung, tanzen die Menschen, obwohl sich der Boden mittlerweile größtenteils in eine Schlammlache verwandelt hat. Sie klatschen und wippen hin und her. Über ihnen wiegen sich grüne, mit Helium gefüllte Ballons in der Luft, die sie sich an ihre Jacken gebunden haben. Die Polizei spricht von 50.000 Teilnehmern, die Veranstalter schätzen die Menge auf über 100.000 Teilnehmer.
Die Protestler kommen auch an diesem Abend offenbar wieder aus allen Gesellschaftsteilen: Anzugträger mit Schlips stehen neben älteren Damen mit Hut und einer Gruppe Jugendlicher mit weiten Sweat-Shirts. Die Polizei ist dagegen kaum sichtbar.
„Es ist an der Zeit, dass wir Bürger was ändern in der Politik“
Nach der Eskalation vom Donnerstag, bei der Wasserwerfer eingesetzt und nach Polizeiangaben 130 Personen verletzt wurden, sind in der Menschenmenge an diesem Abend auch viele, die sonst nie auf die Straße gehen. Eine 54-Jährige, die ihren Namen nicht nennen möchte, ist extra aus dem etwa 180 Kilometer entfernten Freiburg angereist, um gegen „Stuttgart 21“ und für mehr Demokratie einzutreten. Das letzte Mal war sie vor 20 Jahren auf einer Demonstration. „Mappus muss weg nach dem, was gestern passiert ist“, sagt sie. „Es ist an der Zeit, dass wir Bürger was ändern in der Politik.“
Johannes Mohn, ein 50-jähriger Rechtsanwalt, ist mit seinen zwei Kindern aus Esslingen angereist. „Ich bin das zweite Mal überhaupt auf einer Demonstration“, sagt er. Für „fatal“ hält er den Umgang von Polizei und Politik mit dem Protest. „Mich ärgert die Brutalität, mit der vorgegangen wird.“ Den gewaltsamen Polizeieinsatz vom Donnerstag nehmen viele ihrer Regierung übel.
Auch Petra Feßmann hat ihre beiden Kinder zum Protest mitgebracht: „Ich habe das Gefühl, die Regierung will uns verunsichern“, sagt die 44-Jährige. „Aber das geht in einer Demokratie überhaupt nicht, wenn Bürger friedlich und demokratisch protestieren.“ Tatsächlich kommt nur etwas Unruhe auf, als die Polizei an diesem Abend kurzzeitig Demonstranten am Zug durch den Bahnhof hindert.
Die Polizei betont kurz darauf auf Nachfrage, dass es bei den Protesten zu keinen Vorfällen gekommen sei. Die Demonstranten haben für die Sicherheitskräfte eine besondere Botschaft: „Gewalt ist ein Zeichen von Schwäche“ steht da auf Plakaten zu lesen oder „Polizei nach Sachsen schicken, bitte dort die Dämme flicken“.
Mappus ruft zu Gesprächen auf
Während die Menschen durch die Straßen zogen rief Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) die Gegner des umstrittenen Bahnprojekts im ZDF zum Dialog auf. Er wolle „ernstnehmen, was die Demonstranten sagen“, nötig seien daher Gespräche darüber, wie der Konflikt gelöst werden könne, sagte Mappus im „heute journal“.
Mappus bekräftigte zudem seine Unterstützung für die Polizei in Stuttgart, bei deren Einsatz die Demonstrationen am Donnerstagabend eskaliert waren. „Die Polizei hat reagiert, nicht agiert“, sagte der Ministerpräsident. Er habe Vertrauen in die Polizeiführung und diese habe vor Ort über den Einsatz zu entscheiden. Es sei am Donnerstag darum gegangen, eine Baustelle abzusichern und da die Polizisten vor Ort „mit Barrikaden empfangen“ worden seien, hätten sie sich gewehrt. (dapd/afp)