Wuppertal. .

Eine „extrem schludrige Kommunikation“ ist mitverantwortlich für die Eskalation der Auseinandersetzung um Stuttgart 21. Das sagt Wissenschaftler Hans Joachim Lietzmann. Er fordert zudem, dass die Bürger eingebunden werden.

Die Eskalation der Auseinandersetzung um Stuttgart 21 ist nach Einschätzung von Wissenschaftlern auch mit mangelnder Einbindung der Bürger bei dem Bahnprojekt zu erklären. Die „extrem schludrige Weise“ der Kommunikation nach außen und fehlende Transparenz seien die Hauptgründe für die anhaltenden Proteste gegen den Umbau des Stuttgarter Kopfbahnhofes, sagte der Leiter der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung der Universität Wuppertal, Hans Joachim Lietzmann.

„Man ist davon ausgegangen, dass allein die parlamentarischen Verfahren die nötige Legitimität für solch ein Projekt mit sich bringen“, sagte Lietzmann. Doch wäre es wichtig gewesen, die Bürger direkter an der Entscheidung zu beteiligen. „Es ist doch völlig berechtigt, wenn die Menschen nach zehn Jahren Planungsphase und offensichtlich extrem gestiegenen Kosten fordern, das Projekt noch einmal zur Diskussion zu stellen.“

„Rufe nach Bürgerbeteiligungen werden lauter“

Lietzmann fügte an: „Wir beobachten seit den 90er-Jahren, dass die Rufe nach Bürgerbeteiligung lauter werden.“ Stuttgart sei ein Beispiel dafür, was passieren könne, wenn Politiker diese Rufe ignorieren.

Seit den 70er-Jahren dokumentiert und begleitet die Forschungsstelle Bürgerbeteiligung Verfahren direkter Demokratie in der gesamten Bundesrepublik. Sie ist bundesweit die einzige ihrer Art. „Gerade auf Bundesebene herrscht oft die Meinung, man komme allein mit der parlamentarischen Legitimation über die Runden“, sagte Lietzmann. Auf kommunaler Ebene dagegen zeige sich, wie wichtig eine aktive Einbindung der Bürger in Entscheidungsprozesse sei.“

„Kommunalpolitiker mobilisieren auf diese Weise neue Mehrheiten“, sagte der Politikwissenschaftler. „Für sie ist das fast so etwas wie eine Art Frischblutinjektion.“ Nur durch Bürgerbeteiligung lasse sich gewährleisten, dass die Menschen auch unpopuläre Entscheidungen langfristig mit trügen. „Dieser Trend wird sich durchsetzen und es wird eine neue, verstärkte Politikform sein“, meinte Lietzmann.

Mehr Partizipation der Bürger

Neben Stuttgart 21 gebe es viele weitere Spannungsfelder, wo es jederzeit zu massiven Protesten kommen könne. Als Beispiele nannte Lietzmann die Integrationsdebatte, die neuen Hartz-IV-Regelsätze oder die Energiepolitik mit verlängerten Laufzeiten für Atomkraftwerke. „Das sind alles kleine Hitzeherde, bei denen nur zwei, drei dumme Sachen zusammenkommen müssen, bis die Situation ähnlich eskaliert“, sagte der Wissenschaftler.

Verhindern lasse sich so etwas auf Dauer nur durch mehr Partizipation der Bürger: „Den Bürgern wird in allen Bereichen des Lebens immer mehr Verantwortlichkeit abverlangt. Da ist es kein Wunder, dass sie in vielen Dingen auch aktiv mit entscheiden wollen.“(dapd)