Berlin. .

Die SPD lässt offen, ob sie die geplanten Hartz-IV-Regelsätze im Bundesrat blockiert. Bundeskanzlerin Merkel verteidigt zwar den Kompromiss. Sie muss aber auf die Sozialdemokraten zugehen.

Fünf Euro mehr Arbeitslosengeld II: Der Hartz-IV-Kompromiss der Bundesregierung schlägt hohe Wellen. Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte am Montag die Pläne der Koalition zur Neuregelung von Hartz-IV. Wer das Konzept von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kritisiere, müsse sagen, an welcher Stelle er die neu berechneten Sätze für falsch halte und wo er noch etwas drauflegen wolle, sagte die CDU-Vorsitzende nach einer gemeinsamen Sitzung der Präsidien von CDU und CSU. Die Union sei bereit, auf die Sozialdemokraten zuzugehen. Nichtsdestotrotz halte sie die gefundene Lösung für sachgerecht.

Zuvor hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel die Bundesregierung scharf angegriffen und mit einem Scheitern der Pläne gedroht. Er forderte von der Regierung Informationen über Details zu den umstrittenen neuen Hartz-IV-Sätzen: „Sie müssen erklären, was für Kinder passieren soll, wie sie die Kommunen stärken, das ist jetzt die Aufgabe der Bundesregierung.“ Erst dann werde die SPD sehen, ob „man sich im Bundesrat einigen kann oder nicht“.

Gabriel für Streichung der Herd-Prämie

Merkel wies darauf hin, dass die sogenannten Hartz-IV-Gesetze noch von einer rot-grünen Bundesregierung verabschiedet worden seien. Das Bundesverfassungsgericht habe es aber für falsch gehalten, die Steigerung der Sätze an die der Rentenbezüge zu koppeln. Die Kanzlerin widersprach der Darstellung, die Koalition habe eine politische Entscheidung getroffen. Der Entschluss sei auf Grundlage einer schwierigen Datenerhebung gefallen, betonte die CDU-Chefin mit Blick auf den Warenkorb. Aus diesem wurden für Hartz-IV-Bezieher nun Ausgaben für Alkohol und Tabak herausgerechnet. Seehofer betonte, die Datenerhebung sei „nicht zu erschüttern“.

Die Koalition hatte am Sonntag entschieden, dass die Hartz-IV-Sätze für Erwachsene um fünf Euro auf 364 Euro im Monat steigen. Die Sätze für Kinder bleiben unverändert. Allerdings werden Sachleistungen für Kinder neu eingeführt. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen will am Nachmittag weitere Details mitteilen. Die Reform war nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts notwendig geworden. Das Gericht hatte eine Neuberechnung der Sätze verlangt.

Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände reagierten mit Empörung auf die schmale Erhöhung. Die Hartz-IV-Reform ist im Bundesrat zustimmungspflichtig. Die Koalition hat allerdings keine Mehrheit mehr in der Länderkammer. Sollten die SPD-regierten Länder die Vorschläge geschlossen ablehnen, ist ein Vermittlungsverfahren sehr wahrscheinlich.

Gabriel forderte die Koalition zur Rücknahme von Steuergeschenken und der sogenannten Herdprämie auf. Die reduzierten Mehrwertsteuersätze für Hotels sollten rückgängig gemacht werden und das umstrittene Erziehungsgeld für Familien, die ihre Kinder nicht in den Kindergarten schicken, gestrichen werden. Dieses Geld sollte in Kindergärten, Schulen und Ganztagsschulen investiert werden. „Das sind doch Dinge, über die wir mal reden müssen“, sagte Gabriel. Er sprach sich auch dafür aus, Kindern einen eigenen Rechtsanspruch auf Förderung zu geben. Dies gehöre nicht in die Jobcenter oder die Arbeitsverwaltung, sagte er mit Blick auf das Bildungspaket.

Linke empfiehlt Arbeitslosen Besuche bei Union und FDP

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach urteilte: „Die neuen Regelsätze sind das mit aller Gewalt heruntergerechnete Ergebnis politischer Mauschelei.“ Die Menschenwürde werde aber nicht durch die Kassenlage begrenzt. „Wir fordern die Regierung dringend auf, in einem seriösen und transparenten Verfahren dafür Sorge zu tragen, dass das Existenzminimum nach Maßgabe der Menschenwürde ausgestaltet wird“, sagte sie.

Linkspartei-Chef Klaus Ernst sagte, die geringe Hartz-IV-Erhöhung treffe nicht nur die Empfänger, sondern auch den Steuerzahler. „Mit dem Regelsatz von 364 Euro und unveränderten Kinderregelsätzen wird nämlich auch festgeschrieben, dass im Jahr 2011 weder der Grundsteuerfreibetrag noch der Kinderfreibetrag oder das Kindergeld steigt“, sagte er. „Wenn das durchgeht, werden wir dagegen vor dem Verfassungsgericht klagen.“

Seine Stellvertreterin Katja Kipping sagte, die Regierung riskiere soziale Unruhen. Die Erhöhung um fünf Euro sei ein Verfassungsbruch. „Wenn die Koalition das im Hinterzimmer auskungeln und das Parlament ausschließen will, dann muss diese Auseinandersetzung auf die Straße getragen werden“, forderte sie. „Ich empfehle allen Erwerbslosen, in den nächsten Wochen kollektiv Besuche in den Büros von Union und FDP abzustatten.“

Wohlfahrtsverband spricht von Tricks

Die Berliner Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke) warnte, die Ausweitung von Sachleistungen für Hartz-IV-Empfänger könne die Lage der betroffenen Kinder verschlechtern. Wenn die Bundesregierung Gutscheine oder eine Chipkarte einführen sollte, könnten kostenlose Angebote für sozial schwache Familien in Kultur und Sport verschwinden. Man werde alles tun, dass die Pläne der Bundesregierung im Bundesrat keine Mehrheit bekommen.

Der Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen, Ulrich Schneider, sagte, die Regierung versuche durch Tricks, den Regelsatz von kinderlosen Erwachsenen zu drücken. Bisher richteten sich die Hartz-IV-Regelsätze nach dem Ausgabeverhalten der unteren zwanzig Prozent der Haushalte auf der Einkommensskala. Nach dem am Sonntag bekannt gewordenen Entwurf des Bundesarbeitsministeriums solle bei kinderlosen Erwachsenen künftig auf die Einkommen der untersten 15 Prozent geachtet werden. Werde diese Gruppe zur Referenzgruppe der kinderlosen Erwachsenen gemacht, ergebe sich bei ihnen automatisch ein niedrigerer Hartz-IV-Satz.

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge kritisierte, die Bundesregierung habe sich per Zahlenakrobatik ein rein physisches Existenzminimum zurechtgerechnet. „Nicht zu verhungern, verdursten und erfrieren hat aber nichts mit gesellschaftlicher Teilhabe zu tun“, sagte Butterwegge. Zudem bediene das Streichen von Ausgaben für Alkohol und Tabak gezielt eine Grundstimmung in der Mittel- und Oberschicht. Die Betroffenen würden ihre Lebensgewohnheiten aber kaum ändern. „Natürlich wird weiter geraucht werden, und auch das Bier kommt weiter in den Kühlschrank. Die Menschen werden einfach woanders sparen - und zwar genau dort, wo es eigentlich um gesellschaftliche Teilhabe geht“, sagte er. (dapd/afp)