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Wie Ursula von der Leyen es in der Talkrunde von Anne Will schafft, die minimale Erhöhung des Regelsatzes um fünf Euro nicht wie ein Hohn aussehen zu lassen.
Fünf Euro mehr für die Hartz-IV-Empfänger – das dürfte nicht unbedingt ein populärer Beschluss sein, den die schwarz-gelbe Regierung gefasst hat. Die Millionen Menschen, die mit der Stütze ihren Lebensunterhalt bestreiten, hatten auf mehr gehofft, nachdem das Bundesverfassungsgericht die alten Berechnungsgrundlagen für das ALG II als unzureichend abgemeiert hat. Bundearbeitsministerin Ursula von der Leyern war daher in der gestrigen Talkrunde von Anne Will eigentlich in einer Defensiv-Position. Doch es gelang ihr charmant wortgewaltig, eloquent – und mit eiserner Hartnäckigkeit, ihre Position deutlich zu machen und den Punktsieg des Abends mitzunehmen.
Unter Beschuss geriet die Ministerin naturgemäß vor allem vom neuen Chef der Linken, Klaus Ernst, der sich die Steilvorlage der Handvoll Euro nicht nehmen ließ, um darauf zu verweisen, dass die Summe wie eine Verhöhnung der Hartz-IV-Bezieher wirke, die nun 16 Cent täglich mehr haben sollen. Von der Leyen zog allerdings bereits mit den ersten Sätzen in der Sendung die Verteidigungslinie, die sie dann mit betonblonder Vehemenz erfolgreich verteidigte (unter anderem gegen die zeitweise entnervt wirkende Moderatorin): Das Verfassungsgericht habe nicht die Höhe der Regelsätze kritisiert, sondern ihre willkürlich erscheinende politische Festlegung, so von der Leyen. Dies habe insbesondere für die Leistungen für Kinder gegolten.
Kein Wunschkonzert
Nun habe man die richterliche Auflage erfüllt, und anhand von tausenden Daten errechnet, womit die Bezieher kleiner Einkommen auskommen müssen. Daran habe man sich bei der Festlegung des neuen Satzes orientiert. „Wer den nun definierten Regelsatz als Hohn bezeichnet, der verhöhnt auch all die Menschen mit kleinen Einkommen, die mit ähnlichen Summen ihr Leben bestreiten müssen – etwa die Verkäuferin oder der Anstreicher“, schulmeisterte die Ministerin. Ziel könne nicht ein Wunschkonzert der Leistungen sein, sondern eben das in Deutschland übliche Existenzminimum.
Hinzu kämen künftig noch Sachleistungen vor allem für Kinder aus Hartz-IV-Familien, um ihnen möglichst gute Bildungschancen mitzugeben und die Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen. Damit, betonte von der Leyen, seien alle Vorgaben des Verfassungsgerichtes erfüllt – und es bleibe der Abstand wischen Regelsatz und den unteren Einkommen gewahrt. Dies sei nötig, um Arbeitsanreize zu erhalten. Dies war die Klaviatur, auf der die CDU-Politikerin in der nächsten Stunde spielte.
Soziale Ausgrenzung
Unterstützt wurde sie von Pfarrer Franz Meurer, der in Köln soziale Brennpunkte betreut und vor allem von der Leyens Position stützte, wonach mehr Geld bei weitem nicht alle Probleme löse. Der katholische „Ghetto-Priester“ verwies ein ums andere auf seine täglichen Erfahrungen mit armen Familien: Deren größtes Problem sei nicht so sehr das mangelnde Geld, sondern das Gefühl, sozial ausgegrenzt zu sein.
Und daran ließe sich durch die geplanten Sachleistungen für Kinder, sowie organisierte Nächstenliebe vieles ändern: Meurer plädierte intensiv für die Aufwertung von Bürgerarbeit, für die Belebung aktiver Nachbarschaftshilfe. Dadurch werde die Isolation durchbrochen, in die Hartz-IV-Empfänger häufig gerieten. Damit widersprach der Pfarrer letztlich auch dem Linken-Chef Ernst, der mehr staatliche Investitionen in Bildung und mehr Umverteilung forderte, um die wachsende „Diskrepanz zwischen armem Staat und privatem Reichtum“ aufzulösen. Da er dabei allerdings eher aufgesetzt erregt wirkte, verpuffte zeitweilig seine Glaubwürdigkeit (während ihn die Ministerin dabei beobachtete wie einen exotischen Schmetterling).
Verbesserte Kindesbetreuung, Hausaufgabenhilfen, Vereinmitgliedschaften
Der soziale Praktiker, Pfarrer Meurer, lieferte mit seinen Beispielen aus der Praxis derweil fleißig die Munition für von der Leyens Argumentationskette, die damit mehr und mehr die Oberhand in der Debatte gewann – und zeitweise auch Ex-BDI-Chef Michael Rogowski in die Schranken verwies, der eher platte Industrieverbands-Propaganda verbreitete – wie etwa die (inzwischen widerlegte) These, viele Hartz-IV-Bezieher wollten gar keine feste Beschäftigung.
Von der Leyen konterte mit dem Hinweis, dass die Hälfte der Kinder, die von Hartz IV abhängig sind, bei alleinerziehenden Eltern lebten. Und dies sei in den meisten Fällen eine Übergangsperiode: „Auch deshalb ist es wichtig, den Regelsatz nicht zu weit zu heben, damit der Arbeitsanreiz bleibt“, so die Ministerin. Und deshalb sei es auch wichtig, den Alleinerziehenden durch Sachleistungen dabei zu helfen, wieder in den Beruf zu kommen: durch eine verbesserte Kindesbetreuung, Hausaufgabenhilfen, Vereinmitgliedschaften.“
Wie geht es weiter?
Es blieb dem bekennenden konservativen Spiegel-Journalisten Jan Fleischhauer vorbehalten, Linken-Chef Ernst auf die Affären um sein eigenes (angeblich überhöhtes) Gehalt hinzuweisen, um die Gerechtigkeitsdebatte über die fünf Euro gegenüber üppigen Boni für HRE-Pleite-Banker bereits im Ansatz abzuwürgen. Recht hatte Ernst allerdings dennoch: Will das Land seine soziale Balance behalten, dann muss die Regierung solche steuerfinanzierten Exzesse stoppen – und zudem über eine Vermögens- oder Reichensteuer nachdenken.
Zudem ist in der zum Teil hitzig geführten Diskussion die Frage etwas untergegangen, warum die kleinen Gehälter in Deutschland mittlerweile so gering sind, dass sie am Existenzminimum herumkrebsen. Von der Leyens Berechnungsgrundlage an den Realitäten entlang mag mathematisch stimmig sein. Allerdings ist der Korridor eng gefasst: Was geschieht, wenn die Gehälter im Niedriglohnbereich weiter sinken – müsste dann Hartz-IV nach unten korrigiert werden? Oder wäre jetzt nicht der richtige Moment gekommen, um über flächendeckende Mindestlöhne zu diskutieren? Ein Thema für die nächste Anne-Will-Talkrunde.