Berlin. .

Sollten SPD und Gründe die Übereinkunft der Koalition mit den Stromkonzernen vors Verfassungsgericht bringen, dann stünde eventuell auch das Ausstiegsgesetz wieder auf dem Prüfstand - auch das ging am Bundesrat vorbei.

Die Bundesregierung hat auf Kritik reagiert und den Atomvertrag mit der Wirtschaft ins Internet gestellt. Die Opposition erhebt nun zwei Vorwürfe: Zum einen werde der Bundestag umgangen. Werde er so umgesetzt, „gehen wir vor das Bundesverfassungsgericht“, kündigte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin an. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel wirft der schwarz-gelben Regierung einen „klaren Rechtsbruch“ vor. Die SPD kritisierte zum anderen den „Vollkaskovertrag“, mit dem sich die Wirtschaft gegen finanzielle Pflichten und Sicherheitsauflagen wehre.

Es ist die zweite Androhung einer Klage. Denn mehrere Länder wollen nach Karlsruhe ziehen, falls Union und FDP ihren Plan wahr machen und das Gesetz ohne Zustimmung des Bundesrates durchsetzen. Die Koalition hält das Gesetz für „nicht-zustimmungspflichtig“ – die Opposition bestreitet das.

Auch das Ausstiegsgesetz auf dem Prüfstand

Sollten Grüne und SPD den Atomvertrag vors Verfassungsgericht bringen, wäre es gut möglich, dass dann auch das rot-grüne Gesetz über den Atomausstieg aus dem Jahr 2002 auf den Prüfstand kommt. „Das könnte natürlich wieder eine Rolle spielen“, meint Staatsrechtler Professor Ulrich Battis. Das sei das „Risiko“, sagte er dieser Zeitung. „Es kann ihnen passieren, dass sie ihr eigenes Gesetz abschießen.“

Das liegt daran, dass SPD und Grüne ein Verfahren kritisieren, das sie selbst angewandt haben: Auch 2002 wurde ein Vertrag abgeschlossen. Damals sprach man dem Bundesrat eine Zustimmungspflicht ab. Verfassungsrechtler Hans-Jürgen Papier rümpfte die Nase über die paktierte Gesetzgebung, für die Bund und Länder zuständig sind, und vertrat die Meinung, dass das Gesetz der Zustimmung des Bundesrates bedürfe. Doch blieb sein Einwand 2002 folgenlos. Niemand klagte.

Diesmal aber finden sich gleich zwei Kläger. Erstens alle SPD-geführten Länder, angeführt vom Mainzer Regierungschef Kurt Beck. Dazu käme Trittins Klage. Er nimmt Anstoß an den Eckpunkten für einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, der Bundestag und Bundesrat „in gesetzeswidriger Weise zu umgehen versucht“. In dieselbe Kerbe schlägt SPD-Chef Sigmar Gabriel: „Klarer Rechtsbruch.“

Ausgeräumt ist aber der Vorwurf eines „Geheimvertrages“. Die Regierung stellte ihn kurzerhand ins Netz. Der Vertrag hat für die Unternehmen zwei Vorteile. Die Konzerne stellen sicher, dass sie nicht mehr zahlen als verabredet und dokumentieren „schon aus aktienrechtlichen Gründen“, wo sie Einwände haben. So schützen sie sich gegen die möglichen Vorwürfe ihrer eigenen Aktionäre.

Rechtlich wie politisch steht der Vertrag auch unter Vorbehalt. Rechtlich: Weil das Parlament zustimmen muss. Politisch: Weil kein Gesetz den Bundestag unverändert wieder verlässt. Das ist ein Erfahrungswert. Weil das Parlament das letzte Wort habe, räumt Battis einer Klage der Grünen keine großen Chancen ein. Offener beurteilt er die Streitfrage, ob die Regierung den Bundesrat benachteiligt. „Da ist ein Risiko.“

Unterschiede zu 2002

Er selbst neigt zur Ansicht, dass die Regierung Karlsruhe übersteht. Er beruft sich auf ein Urteil vom 4. Mai über das Luftsicherheitsgesetz. Das Urteil fiel kaum auf, weil es nicht mehr um die Sache ging – Abschuss eines Flugzeuges – sondern um Kompetenzfragen. Damals stellte das Gericht einen Grundsatz auf. Wenn eine Aufgabe nur quantitativ verändert werde, nicht jedoch qualitativ, bedürfe ein Gesetz grundsätzlich keiner Zustimmung des Bundesrates.

Battis sieht nicht, dass mit den verlängerten Laufzeiten der Kernkraftwerke die Atomaufsicht der Länder qualitativ verändert wird. Eine Streitfrage, die Juristen elektrisiert. Battis vertritt eine Position – und Papier eine ganz andere. Pikant ist, dass Papier jahrelang der Präsident des Gerichts war. Folgen seine früheren Kollegen seiner Linie, könnte das Atomgesetz scheitern, aber womöglich auch der rot-grüne Ausstieg von 2002 anrüchig werden.

Der Unterschied zu damals ist für die Atomexpertin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, dass die Regierung nun Förderbeiträge für erneuerbare Energien mit Sicherheitsauflagen und Steuereinnahmen zur Sanierung des Etats vermengt. Das hält sie für rechtlich angreifbar. Bei einem Regierungswechsel 2013 wollen die Grünen alles rückgängig machen. Wenn die Konzerne gewitzt wären, sagt Ulrich Battis, schrieben sie für diesen Fall auch schon ihre Schadensersatzansprüche fest.