Paris. .
Frankreichs Gewerkschaften machen mobil, um das Prestigeprojekt von Präsident Sarkozy zu Fall zu bringen. Allerdings: Steuert die Regierung beim Thema Rente nicht um, droht die Staatspleite.
Pariser Metrozüge verbleiben an diesem Dienstag in den Depots, ebenso die pfeilschnellen TGV der französischen Staatsbahn SNCF. Kinder stehen vor verschlossenen Schultoren, Fernsehzuschauer müssen mit Wiederholungen vorliebnehmen und Flugzeuge heben nicht ab. Frankreich streikt. In einer landesweiten Protestaktion wollen die Gewerkschaften zwei Millionen Mitglieder mobilisieren. Ihr Ziel: Die ehrgeizige Rentenreform von Präsident Nicolas Sarkozy soll gestoppt werden.
Dessen Vorvorgänger, dem Sozialisten François Mitterrand, haben die Franzosen seit 1983 ein weltweit nahezu einzigartiges Privileg zu verdanken: nämlich sich schon mit 60 in den Ruhestand verabschieden zu dürfen. Doch bald soll Schluss sein mit diesen paradiesischen Verhältnissen. Während auf der anderen Rheinseite die Rente mit 67 längst beschlossene Sache ist, will die bürgerliche Pariser Regierung das Volk in Zukunft immerhin zwei Jahre länger arbeiten lassen. Wer ferner in den Genuss der vollen Rente kommen will, muss dann 41,5 statt bisher 41 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben.
Gigantische Löcher in der Rentenkasse
Angesichts der gigantischen Löcher in der staatlichen Rentenkasse ist dieses Vorhaben durchaus plausibel. 2050, so das Schreckenszenario, sollen angeblich rund 100 Milliarden Euro fehlen. Verschärft wird das ohnehin eklatante Finanzierungsproblem durch die hohe Lebenserwartung der Franzosen, der höchsten in ganz Europa.
Selbst den notorisch reformunwilligen Franzosen scheint nun allmählich zu dämmern, auf welches Fiasko sie zusteuern. Bliebe das Rentenalter heute unangetastet, müssten künftige Generationen die Rechnung bezahlen und schmerzhafte Pensionskürzungen in Kauf nehmen. Der jüngsten Ifop-Umfrage für die Zeitung „Dimanche Ouest-France“ zufolge befürworten inzwischen 53 Prozent die umstrittene „Rente mit 62“.
Der nächste Minister wird das Gleiche wollen
Doch die immer noch einflussreichen und kampferprobten Gewerkschaften zeigen sich fest entschlossen, das Prestigeprojekt des Präsidenten zu Fall zu bringen. „Die Mobilisierung ist sehr hoch“, warnt Bernard Thibault, der Chef der kommunistischen Gewerkschaft CGT, am Vorabend der ersten Lesung in der Nationalversammlung. Der landesweite Ausstand der Staatsbeschäftigten dauert von Montagabend bis Mittwochmorgen. Ginge es hingegen nach Didier Le Reste, dem resoluten CGT-Generalsekretär der Eisenbahner, würde der Streik verlängert. „Warum nicht, wenn sich die Regierung taub stellt“, sagte der Funktionär der Zeitung „Le Parisien“.
Die Regierung trifft dieses demonstrative Säbelrasseln, das mit vertrauter „Heißer-Herbst-Rhetorik“ unterlegt wird, nicht unvorbereitet. Schon mehrere Regierungen sind mit ihrem Vorhaben, das Rad zurückzudrehen, am beeindruckenden Widerstand auf der Straße gescheitert. Zwar stellt der Elysée-Palast angesichts der Protestwelle nun „ergänzende Vorschläge“ und sogar „Verhandlungen“ in Aussicht, aber in der Kernfrage „Rente ab 62“, so Generalsekretär Claude Guéant, gedenke man hart zu bleiben.
Als der zunehmend unpopuläre Nicolas Sarkozy im Frühjahr seinen Budgetminister Eric Woerth an die Spitze des Arbeitsministeriums holte, galt dies noch als clevere Rochade. Der solide Parteisoldat sollte die umstrittene Rentenreform in der Nationalversammlung Parlament und vor allem in der Öffentlichkeit durchboxen. Doch nun ist Erich Woerth nicht mehr Trumpf-Ass, sondern der umstrittenste Politiker Frankreichs. Wegen seiner mutmaßlichen Verquickungen in die Bettencourt-Affäre steht er seit Monaten am Pranger, und es ist nicht auszuschließen, dass der angeschlagene Woerth über kurz oder lang selbst in Rente geschickt wird. CGT-Funktionär Didier Le Reste lassen die Spekulationen um Woerth indes kalt. Er fragt: „Was bringt eine Entlassung, wenn sein Nachfolger dieselbe Politik macht?