Paris. Seit Wochen geht nichts mehr auf Guadeloupe und Martinique. Mittlerweile drehen sich die Massenproteste nicht nur um höhere Einkommen: Der "kolonialen Ausbeutung" gilt die Wut der Menschen.
Geschlossene Tankstellen und Schulen, leere Supermarktregale und überbordende Müllcontainer – auf der französischen Karibik-Insel Guadeloupe legt ein Generalstreik seit vier Wochen das Leben lahm. Der Tourismus, eine der wichtigsten Einnahmequellen, ist praktisch zum Erliegen gekommen. Am Dienstag wurde auch noch der Flughafen geschlossen, aus Mangel an Personal. Pointe-à-Pitre, die Hauptstadt der Insel und an normalen Tagen berühmt für ihr karibisches Flair, wirkt wie ausgestorben. Eingeschlagenen Schaufenster im Zentrum belegen, dass der Protest in Gewalt umschlägt. Antiaufruhr-Polizei und Demonstranten lieferten sich erste gewaltsame Auseinandersetzungen.
Unter dem Eindruck dieser Bilder, die das Fernsehen auch in das 8000 Kilometer weit entfernte Mutterland überträgt, sieht sich Frankreichs Präsident genötigt, Präsenz zu zeigen. Für Donnerstag hat Nicolas Sarkozy die regionalen Abgeordneten nach Paris eingeladen, um über Auswege aus der Krise zu beraten.
"Gegen das teure Leben"
Auch auf Martinique, der anderen französischen Karibikinsel, legt ein Generalstreik seit Tagen das Leben lahm. Reunion im Indischen Ozean will Anfang März den Streik, beginnen. Und auch in Französisch-Guyana brodelt es. „Gegen das teure Leben” demonstriert ein breites Bündnis aus 48 Organisationen auf Guadeloupe. Die Verhandlungen sind an einem toten Punkt.
Dabei geht es längst nicht nur um mehr Geld – rund 200 Euro – für die vielen Geringverdiener. Vehement prangert das Bündnis „Gemeinsam gegen die Ausbeutung” das noch immer kolonial anmutende Wirtschaftssystem auf der Insel an. Die „békés”, die Nachfahren der weißen Kolonialisten, sitzen, obwohl sie nur ein Prozent der Bevölkerung stellen, an den Hebeln, besitzen die meisten Plantagen und Immobilien. „Die Urenkel der Sklavenhalter verweigern die Erhöhung der Gehälter und verlangen Geld vom Staat, um die Urenkel der Sklaven zu ernähren”, sagt Elie Domota, der das Streikbündnis anführt.
"Soziale Apartheid"
Ebenso verhasst freilich sind auch die „metros”, die Mutterland-Franzosen, die sich ihren Dienst auf der sonnigen Ferieninsel mit Gehaltszuschlägen von bis zu 40 Prozent versüßen lassen. Von „sozialer Apartheid” sprechen viele. Der – weiße und linke – Regionalpräsident Guadeloups warnte vor der Gefahr eines kollektiven Aufstands. Gut drei Mal höher als im Mutterland liegt die Arbeitslosigkeit auf den beiden Karibik-Inseln. Vier Mal mehr Sozialhilfeempfänger werden gezählt. Und gut zwölf Prozent der Bevölkerung auf Guadeloupe gilt – mit einem Jahreseinkommen von höchstens 3900 Euro – als arm. „Es gibt auf den Antillen brutale soziale Ungleichheiten, die historisch noch direkt in der Sklaverei gründen”, sagte Chrstine Taubira aus Französisch-Guyana, eine der wenigen schwarzen Abgeordneten im Pariser Parlament.