Berlin.
Was kommt nach der Entscheidung, die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke zu verlängern? Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht - so viel steht fest.
Andreas Voßkuhle kann sich auf die Klage schon einmal einstellen. Er ist der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, und in Karlsruhe werden sie am Sonntag aufmerksam registriert haben, was im Kanzleramt seinen Lauf nahm.
Dort schwor Hausherrin Angela Merkel Union und FDP auf eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke und auf einen Streit mit einigen Bundesländern ein, und draußen kündigte SPD-Chef Sigmar Gabriel eine Klage an. Post für Andreas Voßkuhle.
„Fehler ersten Ranges“
Es sind 200, 300 Demonstranten, nicht mehr. Aber sie stehen strategisch günstig auf der Willy-Brandt-Straße und Otto-von-Bismarck-Alle, die beide zur Regierungszentrale führen. Sie liegen im Schwenkkreis der TV-Kameras. Sie liefern die Bilder, die am Abend laufen, und den ohrenbetäubenden Krach dazu.
Sie skandieren „abschalten“ und meinen nicht allein die Meiler, sondern genauso Schwarz-Gelb, Angela Merkels Koalition. Ein Witzbold dachte sich ein Plakat von ungeheurer Aktualität aus: „Alle Laufzeitverlängerer teilen ein bestimmtes Gen.“ Die Demonstranten sind hier, um die Minister und die Koalitionäre einzuschüchtern, die um 14 Uhr im Minutentakt vorfahren. Seit Stunden berät sich Merkel mit Vize-Kanzler Guido Westerwelle und den Fachministern Norbert Röttgen (Umwelt), Rainer Brüderle (Wirtschaft) und Wolfgang Schäuble (Finanzen). Jetzt stoßen weitere Politiker dazu, etwa die Fraktionschefs von CDU, CSU und FDP.
Auch Gabriel und Grünen-Chefin Claudia Roth nutzen die Gunst der Stunde. Roth kann vor den vielen Journalisten gar nicht oft genug einen „heißen Herbst“ ankündigen. Später betritt Gregor Gysi die Szenerie. Der Chef der Linksfraktion geht zu den Demonstranten. Die Regierung habe einen „gesellschaftspolitischen Fehler ersten Ranges“ gemacht. Gysi: „Wir erleben auch eine Beschädigung der Demokratie“. Die Botschaft: Mit der Atomlobby verhandelt eine Regierung – mit den Hartz IV-Empfängern nicht. Der Vorwurf der Käuflichkeit von Politik steht im Raum.
Heißer Herbst
Drinnen ringt die Runde um die Details, um Sicherheitsfragen, um die Laufzeiten, auch um zusätzliche Steuereinnahmen aus der Wirtschaft. Es geht nicht zuletzt um den Zuschnitt eines Gesetzes. Wie muss es gestrickt sein, dass es im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist? Da haben Union und FDP keine Mehrheit: Zehn bis 15 Jahre – so skizzieren Merkel wie Westerwelle die Perspektiven. Ob die Regierung nun auf der sicheren Seite bleibt, vorsichtig ist oder 15 Jahre ausreizt – Roths „heißer Herbst“ ist ihr sicher, gleich, ob die Meiler zwei oder zwölf Jahre länger laufen sollen als bisher geplant.
Denn: Ein Gesetz muss im Bundesrat zumindest diskutiert werden. Die Länder mögen es nicht aufhalten können. Aber SPD und Grüne können ihre Einwände medienwirksam einbringen. Nächster Akt: Ein Gesetz muss von Bundespräsident Christian Wulff unterschrieben werden. Man kann sich darauf einstellen, dass SPD und Grüne ihn auffordern werden, sich zu verweigern; und ihm andernfalls Parteilichkeit vorwerfen werden. Ist das Gesetz unterschrieben, dürften einige Bundesländer dann in Karlsruhe klagen.