Ruhrgebiet.

Für eine Woche macht die Bahn ihre Bistros zu Bibliotheken: 10 000 Werke dürfen geliehen, gelesen, getauscht werden.

Im Berufsverkehr serviert die Bahn Butterbrote, Bier für 2,50 Euro und Bücher für nix. Einen „erlesenen Tipp” nennt sie das, denn sie setzt die Idee vom Büchertausch auf die Schiene und macht ihre Bistros zu Bibliotheken.

„Tausch (d)ein Buch“ soll aus vollen Zügen Lesesäle machen; wer eins wegnimmt, sollte ein anderes mitbringen. Die Bahn sei ein „Biotop”, sagt Christoph Schäfer von der Stiftung Lesen, „für Leser“.

Man sieht die Passagiere, die meist Pendler sind in diesem Nahverkehrszug, tatsächlich schon schmökern, wenn andere noch schlafen, den Rücken ans Geländer gedrückt, vor dem Zug, oder drinnen in die gewürfelten Sitze, während draußen das Ruhrgebiet vorbeifliegt. Marcel Wellerdieck hat früh zugegriffen, „Denken hilft zwar, nützt aber nichts“, heißt das Werk, das er aus der Bücherbox fischte. „Zumindest realitätsnah“, sagt der 29-Jährige und weiß ein ebensolches, das er dafür eintauschen wird: „Der Teufel trägt Prada“.

Noch ein Krimi in der Kiste

Es sei ein „ruhigeres Reisen“, wenn man liest, sagt Wellerdieck, aber nun hat der Schaffner eine Ansage gemacht, und es wird gesellig an der roten Box: „Im Kaffeewagen haben wir eine Aktion. . . Wenn Sie durchgelesen haben, bitte wieder abgeben. In Kürze erreichen wir Duisburg.“ Zwei ältere Damen drängen sich, schieben die Brillen in die Stirn, „wem müssen wir Danke sagen“?, ein junges Mädchen reckt sich auf Zehenspitzen, und aus dem Barschrank legt die Kellnerin nach: „Hab noch ‘n bisschen.“

Der Rhein-Haard-Express rast geradeaus, drinnen lesen sie quer, es ist noch ein Krimi in der Kiste: „Der Tod ist schneller.“ Zwei Frauen kramen und werden fündig, aber sie gehen jetzt in den Zoo, „da muss ich gucken“ – in einem Zug auslesen geht heute nicht. Im vorletzten Jahrhundert hat man noch diskutiert: Ob Lesen im Zug nicht zu geistiger Zerrüttung führe? Bis ein Wissenschaftler die beruhigende Diagnose stellte: Lesen sei eine der natürlichsten Tätigkeiten in der Bahn.

„Warum kauft man sich Bücher und fängt noch auf dem Heimweg an zu lesen“, fragt Nick Hornby in „Mein Leben als Leser“, Sarah Kuczmera nimmt es mit. Sie wird darin eine Empfehlung lesen für eine weiteres Werk mit dem Titel „Train“. „Ritter Rost“ ist auch da, Joschka Fischer und Herta Müller: „Reisende auf einem Bein“. Für Christoph Schäfer, den Leseförderer, ist das Buch eine „persönliche Visitenkarte für Geschmack und Weltanschauung“. Es könnten also auch Konsalik kommen oder Kant, überhaupt sei spannend, was die Menschen eintauschen.

„Die Bücherdiebin“

Aber ach, so sind sie wohl nicht, noch ist mehr Nehmen als Geben im Zuge. Jemand klemmt sich gleich fünf Bücher unter den Arm, die verbliebenen fallen haltlos um. Der Süßigkeitenautomat daneben ist „wegen permanenten Diebstahls außer Betrieb“. Unter 10 000 Titeln, die acht Verlage zum Zug brachten, ist auch „Die Bücherdiebin“.

Es werden also Bücher auf der Strecke bleiben diese Woche, auch auf den Buslinien, die jetzt Bücherbusse sind. Macht nichts, wenn die Leute nur lesen, sagt Christoph Schäfer. Es geht ihm ja „nicht um die Quote, sondern den Moment“. Völlig in Ordnung, dass Michael Otterbein auf seinem Weg nach Gelsenkirchen Noll gegen Goosen noch nicht hergeben mag und dass Sonja Eckertz ihr Büchlein festhält, als wollte man es ihr wegnehmen. Sie werden eben „zuhause nachsehen, was vielleicht schon zweimal gelesen ist“. Otterbein schließlich („Man kriegt ja sonst von der Bahn kein Buch geschenkt“), hatte sich in der Bahnhofs-Buchhandlung erst ein neues gekauft.

Ganz oben steht dort im Bestseller-Regal: „Weltliteratur für Eilige“. Aber das ist wohl nichts für den Zug.