Berlin. .

Bei der Bundesbank soll heute über eine Entlassung des Vorstandsmitgliedes entschieden werden. Meinungsforscher warnen davor, Sarrazins Thesen völlig abzutun - es gebe zu viele Menschen, die seine Ansichten teilen.

Bei der Deutschen Bundesbank wird an diesem Donnerstag eine Entscheidung über die Zukunft von Vorstand Thilo Sarrazin erwartet. Nach Informationen der „Berliner Zeitung“ ist sich der Bundesbank-Vorstand über eine Trennung von Sarrazin einig. Allerdings müsse intern noch das konkrete Vorgehen abgestimmt werden, damit Sarrazins Chancen, sich gerichtlich wieder in die Bundesbank einzuklagen, minimiert würden, berichtete das Blatt.

Der Berliner Ex-Finanzsenator ist wegen umstrittener Thesen zu muslimischen Einwanderern und jüdischem Erbgut in die Kritik geraten. Bundespräsident Christian Wulff (CDU) rief die Bundesbank zur Schadensbegrenzung auf. Der Berliner SPD-Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf will am Abend über ein Parteiausschlussverfahren gegen Sarrazin entscheiden.

Unterstützung aus der CDU

Die Bundesbank hatte sich von Sarrazin bereits zu Wochenbeginn distanziert. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte bereits angedeutet, dass Sarrazins Äußerungen politische Konsequenzen haben müssten. Der Minister wertete Sarrazins Äußerungen als „verantwortungslosen Unsinn“, mit dem dieser „ersichtlich“ gegen seine Verpflichtung zur Zurückhaltung verstoßen habe. Auch der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz forderte die Entlassung Sarrazins aus dem Bankenvorstand. Sarrazins Thesen trügen teilweise rassistische Züge. „Herr Sarrazin hat sich disqualifiziert durch seine Äußerungen, als Bundesbankvorstand und als SPD-Mitglied“, sagte er. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), erklärte: „Nach dem, was Herr Sarrazin über das Thema Integration und Migranten geäußert hat, ist er nicht mehr tragbar.“ CSU-Landesgruppen-Chef Hans-Peter Friedrich nannte Sarrazin „eine Belastung für die Bundesbank“. Sarrazins Amtszeit bei der Bundesbank endet regulär 2014

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach dagegen unterstützte Sarrazin und sieht keinen Grund, ihn aus der partei zu werfen. „Eine große Volkspartei muss auch kontroverse Debatten führen“, sagte der Vorsitzende des Innenausschusses. Bosbach ging auch auf Distanz zur Forderung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die der Bundesbank nahegelegt hatte, Sarrazin zu entlassen. Mit jeder weiteren Forderung nach seiner Entfernung aus dem Bundesbank-Vorstand steige dessen Buchauflage. Er teile nicht jede These Sarrazins. Was allerdings das Thema Zuwanderung und Integration angehe, könne er nur sagen: „Wo Thilo Sarrazin Recht hat, hat der Recht.“

Meinungsforscher: Die Hälfte der Bürger teilt Sarrazins Thesen

Laut Bosbach erhält Sarrazin Zustimmung von der CDU-Basis. „Die weit überwiegende Zahl der Mitglieder und Anhänger der CDU stimmt den Beschreibungen von Sarrazin zu“, sagte er. Man teile an der CDU-Basis zwar dessen Erbtheorien nicht und kritisiere auch, dass der ehemalige Finanzsenator von Berlin kaum vernünftige Vorschläge mache. Dessen Beschreibung der Defizite bei der Bildung von Kindern und der Missstände in der Integration treffe allerdings auf breite Zustimmung.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) kritisierte vor allem die Debatte um Sarrazins Äußerungen, die er „selbstverliebt“ und „wirr“ nannte. Die Empörung darüber ersetze aber nicht die ehrliche Auseinandersetzung mit offensichtlichen Fehlentwicklungen bei Migration und Integration, die viel zu lange verdrängt worden seien.

Mit Blick auf die Debatte um Sarrazins Thesen hat der Geschäftsführer des Forsa-Instituts, Manfred Güllner, vor der Manifestation des rechtsradikalen Potenzials in der deutschen Bevölkerung gewarnt und das Vorgehen der SPD kritisiert. „Das eigentliche rechtsradikale Potenzial liegt latent bei mehr als 10 bis zu 14 Prozent je nachdem, wie man es eingrenzt. Es ist Aufgabe der Parteien, zu verhindern, dass es sich manifestiert“, sagte Güllner in einem Interview.

Güllner kritisierte das Vorgehen der SPD im Fall Sarrazin als vertrauensschädigend. „Die Menschen erwarten von der SPD, dass sie ihre Probleme ernst nimmt, sich um ihre Sorgen und Nöte kümmert. Sie sehen, dass die Partei enorm viel Energie in Parteiausschlussverfahren steckt: Erst bei Wolfgang Clement, dann bei Thilo Sarrazin und Sarrazin schon zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres. Das erweckt kein Vertrauen“, sagte Güllner. Stattdessen solle man sich der debatte widmen, die Sarrazin angestoßen hat: In Umfragen halte die Hälfte der Bevölkerung die Ansichten des Bundebank-Vorstandes für richtig, die andere Hälfte finde sie unangemessen und falsch.

Güllner forderte von der Politik eine „schwierige Gratwanderung“, denn Sarrazins Thesen träfen auf Ängste und Alltagserlebnisse der Menschen. „Sie muss diese Ängste ernst nehmen, ohne in Populismus zu verfallen. Sonst treibt man die Menschen in die Arme der Totalvereinfacher, der Rechtsradikalen“, sagte der Meinungsforscher. (ddp)